Reaktion politische

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„Ja, daß es uns früher so schrecklich ging, In Deutschland, ist Uebertreibung; Man konnte entrinnen der Knechtschaft, wie einst In Rom, durch Selbstentleibung. Gedankenfreyheit genoß das Volk, Sie war für die großen Massen, Beschränkung traf nur die gringe Zahl Derjen'gen, die drucken lassen. Gesetzlose Willkür herrschte nie, Dem schlimmsten Demagogen Ward niemals ohne Urtheilspruch Die Staatskokarde entzogen. So übel war es in Deutschland nie, Trotz aller Zeitbedrängniß – Glaub' mir, verhungert ist nie ein Mensch In einem deutschen Gefängniß. Es blühte in der Vergangenheit So manche schöne Erscheinung Des Glaubens und der Gemüthlichkeit; Jetzt herrscht nur Zweifel, Verneinung. (Heinrich Heine: "Ein Wintermärchen", 1844)

Reaktionär ist eine Rekursion auf Gegebenheiten, die sich als deren Fortschritt behaupten oder darstellen (siehe auch Vorstellung). Dies erfordert eine Täuschung durch eine Form oder Formalität, die eine Vertauschung von Inhalten und Zuordnungen zu Gunsten eines ihnen äußerlichen und also fremden Zwecks bewirkt. Wo gesellschaftliche Wirklichkeit mit der Wirklichkeit von Sachen austauschbar ist, scheint die Reaktion auf diese Verhältnisse selbst eine Aktion der Menschen zu sein, eine unmittelbar so persönliche wie gesellschaftliche Tätigkeit. Die sachlichen Verhältnisse der Personen erscheinen "nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen".(MEW 23, S. 86).

Die Beziehung von Aktion und Reaktion ist durch eine politische Reaktion im Zweck einer herrschenden Formbestimmung unendlich, also tautologisch bestimmt, jede Aktion gilt damit als Reaktion auf das Böse und jede Reaktion als Aktion einer Güte - Alles in Allem in einer verselbständigten Form der beurteilung eines unmittelbaren Daseins (siehe äathetisches Urteil) der Menschen (siehe Warenfetischismus). Mensch und Sache erscheinen sich darin einig. Als Bürger dieser Welt gelten die sich selbst so übermenschlich wie sie unter sich auch menschlich sind und sich gesellschaftlich in ihren zwischenmenschlichen Verhältnissen begegnen. Marx hat dies als ihr verkehrtes Weltbewusstsein beschrieben, wie es in den Religionen seinen totalen Ausdruck findet.

Eine politische Reaktion ist eine Reaktion in der Wahrnehmung vollendeter Tatsachen, eine Reaktion aus der Vergangenheit der Geschichte, die ihre Kraft aus ihrer Unvergänglichkeit gewinnt (siehe Konservatismus) und diese nur bloßstellen kann und entsprechend kräftige Urteile gegen sie wendet. Politische Reaktion ist daher die Rückwirkung auf eine politische Aktion, zunächst einmal nur das Verhalten einer Negation politischer Macht. Aber sie negiert nicht wirklich diese Macht, sondern sucht sich in der leeren Verneinung durch die bloße Gewalt eines politischen Willens (z.B. per Populismus) mächtig zu machen. Reaktionär ist ein Verhalten dieses Willens, wenn er nicht erst erkennen muss, was er ins Verhältnis setzt, wo er das durchsetzt, was er schon kennt. Reaktionär ist eine Reaktion, die nur auf sich selbst zurückfällt, die also eine reine selbstbezügliche Selbstvermittlung ist. Politisch wird eine solche Reaktion als bloße Verneinung der tätigen Politik verstanden, aber nicht als Kritik, sondern als Beschuldigung, als eine veredelte politische Bezichtigung der gegebenen politischen Positionen (siehe Selbstveredelung), als Unterstellung eines bösen Willens, der als fremde Macht im Ganzen zu herrschen sucht, begründet z.B. durch eine Verschwörung oder eine Gier oder eine Bosheit. Von daher bestrebt die politische Reaktion die Restriktion hiergegen, die Negation gegebener Freiheiten durch einen guten Willen oder Güte, der politisch und philosophisch aus einer höheren Moralität des Gemeinsinns begründet wird und der Selbstveredelung dient (siehe reaktionäres Bewusstsein).

Die politische Reaktion stellt sich damit völlig unkritisch zur Sachlichkeit einer Problematik und befördert einen Schuldkonflikt durch Verschuldungstheorien oder Verschwörungstheorien, welche die Sachproblematik mystifiziert, die Sache begütigt und den Begüterten dienstbar ist. Sie identifiziert diese als Zerstörung einer an und für sich guten Sache und setzt sich für die Bekämpfung des Fortschritts ein, der sich aus Sachverhältnissen gründet. Von daher begründet sich eine politische Reaktion auch eher aus psychischen, denn aus sachlichen Antrieben und wendet sich populistisch an die Bürger, bietet aich auch selbst gerne ihren autoritären Interessen an (siehe autoritärer Charakter).

Reaktion meint im Grunde Rückschritt auf vorhergehende Zustände und deren Fixierung gegen Fortschritt (s.a. Progression). Die politische Reaktion ist rückwärtsgerichtete Politik; rückwärts gegen Aktivitäten, die das Fortschreiten der Geschichte beinhalten, indem sie ihre Position auf die Notwendigkeit der Gegebenheiten reduziert (siehe reaktionäres Bewusstsein). Der Begriff setzt ein Geschichtsbewusstsein voraus, welches Fortschritt fürchtet, weil es darin die Gefahren der Moderne wittert (vergl. z.B. den Vorhalt der Seinsvergessenheit bei Heidegger). Solches Bewusstsein steht auf der Seite der Faktizität, den Gegebenheiten, denen sich Menschen zu beugen hätten, um dem Übel subjektiv bestimmter Geschichte, deren vermeintlichem Unheil zu entgehen. Reaktion setzt die Gegebenheiten als Maßstab einer heilen Welt gegen die Menschen, die sie nicht anerkennen, setzt das Edle gegen die Kritik, treibt zur Selbstveredelung, die Selbstbehauptung kulturalisiert, um Anpassung aufzunötigen.

Die politische Reaktion will das Objektive absolut machen, die Menschen an das binden, worin sie schon aufgehoben sind, will die Gewissheiten konservieren, die vor allem als Selbstbegründung, als Beziehung auf sich selbst zum Zweck der Selbstbestätigung geeignet sind. Im reaktionären Bewusstsein wird das praktische Bewusstsein zu einem Selbstbetrug des Erkenntnisvermögens: Die vergangene Geschichte wird zum Sinnbild jeder Geschichtlichkeit, das Gedächtnis zum Maßstab der Geschichte.

Die Kritik hieran kann aber keine Kritik des Gedächtnisses selbst sein. Die Erkenntnis, dass solche Geschichte, die sich bloß wiederholt, eine Farce ist, enthält das Wissen, dass es keine Geschichte gibt, die sich nach ihren eigenen Voraussetzungen richtet, ist also potenziell geschichtlich. Die Reaktion betreibt von daher auch ihre permanente Selbstaufhebung, die sie an ihrem Gegner vollstreckt und sich nur dadurch erhält, dass sie ihn hat. Sie ist vollständig abhängig von ihm udn reagiert auf seine Aktionen, um sich selbst aus ihrer Nichtung herasuszukehren, sich an ihrer Außenwelt zu erstarken oder stark zu machen. Deshalb hat die politische Reaktion die Aufhebung von jeglicher Aktion nötig, will also die Rückwendung eines Fortschreitens durch Lähmung, Bekämpfung oder Zersetzung. Von daher ist sie eine Gegenbewegung zu emanzipatorischen (Emanzipation) Entwickungen. Sie bestehen nicht aus einer Kritik an politischen Progressionen oder Aggressionen, sondern gründen auf einem allgemeinen inneren Widerstand, der sich niemals klar formuliert, weil die Reaktion selbst ausschließlich ist, also auch Auseinandersetzung ausschließt, damit sie ihre Stärke nicht verliert. In einer wirklichen Auseinandersetzung würde sie an ihrem eigenen Widerspruch zerschmelzen. Dennoch folgt sie einem Bewusstsein, welches zumindest allgemein eine entgegengesetzte Entwicklungsvorstellung enthält, welches also einen Streit um das, was Fortschritt ist, evozieren will, um sich auf das zurückzuziehen, worin sie sich aufgehoben weiß.

Reaktionäre Tendenzen sind oft als Kritik getarnt, die in der Lage ist, Aussagen und Inhalte von emanzipatorischen Aussagen durch Apelle obsolet zu machen, welche eine Logik der Notwendigkeit hervorkehren, die sich als Fürsorglichkeit für das Faktische gibt. Zur Begründung hierfür werden negative Allgemeinheiten im Sinne eines kategorischen Imperativs bemüht, die an höchste Vernunft appellieren (z.B. Kant). Aber auch durch Mystifikationen (Psychiatrisierung des Akteurs) oder metaphysische Hintersinnigkeiten (z.B. durch Genealogie, als höheres Wissen von Zusammenhängen) werden historisch abhängige Aktivität gestört. Das Bewusstsein der Reaktion ist nicht unbedingt konservativ, wohl aber immer nominalistisch (siehe auch Nominalismus).

Auch seelisch gibt es viele reaktionäre Absichten, die sich aus der Angst ergeben. Nicht Angst ist reaktionär (keine Wahrheit kann reaktionär sein), sondern die politische Position, die sich zu ihrer Bewahrung durch Selbsttäuschung formiert, kann sich offen oder versteckt poltisch emanzipatorischen Bestrebungen entgegenstellen. Solche Haltung beruht auf einem Mangel an Mut zur eigenen Wahrheit und auf der Angst vor wirklicher Kraft, vor wirklicher Veränderung. Dies kommt von einer Not des Erkenntnisvermögens, das durch die rein seelische Wahrnehmung der Menschen entstanden ist und keinen Zugang zu ihrer freien Lebensäußerung gefunden hat, wie auch nicht zu einer eigenen. Aber mit der Angst hiervor (s.a. Lebensangst) stehen sich die Menschen selbst im Weg und haben von da her

die Notwendigkeit, sie zu überwinden, als Notwendigkeit ihrer Befreiung in sich. Von daher stehen sie objektiv selbst im Interesse, eine reaktionäre Haltung abzulegen. Oft fehlen ihnen nur die Möglichkeiten hierzu (entsprechende Gespräche oder Gruppen).