Todesmut

Aus kulturkritik

"Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland" (Paul Celan - "Todesfuge")

Todesmut wird meist der Todesangst entgengehalten. Doch er ist eher der Ausdruck einer Lebenangst, die sich in einer Selbstverachtungaufgelöst, sich vor ihrem zerfließen ins Übermenschliche gerettet hat. Mut unterstelt immer einen Willen. Und so wird der Todesmut leicht wie eine soldatische Tugend zu einer Unterwerfung unter diesen, zu einer Lebenshaltung im Kampf auf Leben und Tod - als ein verhängnisvoller Vorgriff auf den Tod, wie Martin Heidegger ihn als "Vorlauf zum Tode" begriffen wissen wollte, als höchsten Sinn einer Seinsgewissheit.die letztlich nur die allgemeine Lebensverachtung einer kollektiven Selbstverachtungsein kann, diem Selbstverlust eines Übermenschen nachhängt.

"Woher müsste dann das entgegengesetzte Verlangen, das der Zeit nach früher hervortrat, stammen, das Verlangen nach dem Hässlichen, der gute strenge Wille des älteren Hellenen zum Pessimismus, zum tragischen Mythus, zum Bilde alles Furchtbaren, Bösen, Räthselhaften, Vernichtenden, Verhängnissvollen auf dem Grunde des Daseins, - woher müsste dann die Tragödie stammen? Vielleicht aus der Lust, aus der Kraft, aus überströmender Gesundheit, aus übergrosser Fülle? Und welche Bedeutung hat dann, physiologisch gefragt, jener Wahnsinn, aus dem die tragische wie die komische Kunst erwuchs, der dionysische Wahnsinn? Wie? Ist Wahnsinn vielleicht nicht nothwendig das Symptom der Entartung, des Niedergangs, der überspäten Cultur? Giebt es vielleicht - eine Frage für Irrenärzte - Neurosen der Gesundheit?" (Friedrich Nietzsche 1886, "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik")

Denn kein Wille kann sich wirklich auf den Tod beziehen. Man mag in bestimmten Lebenslagen tot sein wollen, aber es sind immer Gründe aus den Lebensverhältnissen der Menschen heraus, aus denen sich ihr Wille bildet. Sie schaffen sich ihre Vorstellungen aus den Notwendigkeiten des Lebens. Und im Todesmut herrscht die Vorstellung von einer Lebensnotwendigkeit, durch die sich Leben selbst überleben soll, - Vorstellungen, die den Menschen ihre Kraft in diesem Sinne ausrichtet, indem sie deren Erfüllung vorwegnehmen und ihren Willen gestalten. Es sind Vorstellungen aus einer zerstörten Welt, die selbst Welt zerstören, die Ihr Leben für eine Zerstörung bereithalten, um es zu gewinnen, um endlich zu erlangen, dass es leben soll.

Wo die Lebensverhältnisse der Menschen ihnen ihr Leben, ihre Hoffnung auf Lebenswirklichkeit und Geschichte, Vergangenheit und Zukunft zerstören, ist der Todesmut eine notwendige Lebensäußerung, die sich zunächst darauf konzentriert, ihnen eine Lebensperspektive zu verleihen und schließlich auch Mut machen soll, daraus Kraft für ein besseres Leben zu schöpfen, die ihr Leben, das aus einer "höheren Gewalt" bedroht erscheint, durch ein Überleben in einer höheren Welt besiegeln soll. Es ist die innigste Macht, die nur eine Art von Religion vermitteln kann. Diese ist daher auch die innigste Kraft, die Religion fanatisch macht (siehe religiöser Fanatismus) und Mörder zu Helden des Krieges und Selbstmordattentäter zu Märtyrern einer unergründlichen Vorsehung macht.

Auch in der Philosophie des Existenzialismus wurden solche Vorstellungen z.B. von Martin Heidegger als eine Form von Lebensvergewisserung entwickelt, die eine Seinsgewissheit aus einem "Sein zum Tode" zu gewinnen suchten. Damit aber machten sie den Tod zum Subjekt des Lebens, begriffen Leben überhaupt nur als Form eines Überlebens, als Lebensform, zu welcher die Menschen "verurteilt" seien, um Verwantwortung für sich zu übernehmen, "Sorge" für sich zu tragen. Diese Philosophie des Todes regte die Politik des Sterbens an, aus der dereinst Paul Celan die Schlussfolgerung zog, dass der "Tod ein Meister aus Deutschland" sei. Heute wird diese Funktion allerdings eher einer Religion zugewiesen, die dem Islam entsprechen soll. Doch der Grund für jede Form der Kraftschöpfung liegt jenseits aller Vorstellungen in der Wirklichkeit ihrer Lebensverhältnisse.

In Verhältnissen der Dekadenz, die durch Schmerz oder Tod bestimmt sind (z.B. Missbrauch, Folter, Traumata, Krieg) finden sich immer Menschen, die einem starken Verlangen nach Vernichtung oder Tötung unterworfen sind (siehe hierzu auch Todestrieb). Was in diesen Verhältnissen noch eine Überlebenssstrategie sein mag, weil darin der Tötende der Überlebende ist, kann sich dann, wenn diese Verhältnisse abwesend und übergangslos durch die Gegenwart eines der Wahrnehmung unzugänglichen Lebens ausgetauscht sind, zu einem Vernichtungstrieb entwickeln, der seinen Ursprung nicht mehr kennt und in eine Depression übergeht, in der er sich gegenwärtiger Verhältnisse mit der Kraft von abwesenden ihrer Wahrnehmung zu entledigen sucht (siehe auch Trauma).

Wer die Lebensverhältnisse der Menschen nur aus ihren Persönlichkeiten begründet sieht (siehe Psychologie), muss diesen Todesmut dann allerdings auch aus ihnen, und nicht aus ihrer Selbstentfremdung begreifen wollen. Das ist wohl der Grund, warum Sigmund Freud zium Beispiel in den Soldaten des ersten Weltkriegs einen Todestrieb am Wirken sah, den er sich aus seinem Verständnis eines Lebenstriebs, den Vorstellungen von seinem Leben als Kulturbürger nicht mehr erklären konnte.

Diesen Antrieb, der nach dem 1. Weltkrieg z.B. bei Kriegsheimkehrer erstmals wissenschaftlich beobachtet wurde, weil er hier geläufig geworden war, nannte Sigmund Freud seinerzeit (1930 in seiner Schrift "Das Unbehagen in der Kultur") Todestrieb, - nicht weil er ihn einfach so beobachtet hätte, sondern weil er ihn zu einem ontologischen Konstrukt machen wollte, mit dem die Unzulänglichkeiten seines ebenso ontologischen Lebenstriebs zu überwinden wäre, der sich als pures Luststreben (siehe Lustprinzip) nicht als allgemeiner Antrieb der psychischen Entwicklung halten ließ und auch zur Erklärung von Zwangsverhalten nicht wirklich hinreichen konnte. Von daher hatte die Psychoanalyse eine Kategorie zur Welt gebracht, durch die sie sich selbst überwunden, sich ihres ursprünglich emanzipatorischen Anspruchs entledigt hatte. Aber in dem bloßen Dualismus gegensinniger Triebe des Lebens hob sich nicht nur die positive Vorstellung eines bürgerlichen Subjekts auf, dessen Selbstentfaltung aufgeklärt werden sollte. Es zerging darin ihre ganze theoretische Aussagekraft.

Jeder Trieb ist ein verselbständigte Verlangen, das einer Notwendigkeit entspringt, die dem Ausschluss von Lebenszusammenhängen zur Folge ist und also eine Realabstraktion von Lebenssubstanzen betreibt. In der Form seiner Erregung stellt sich eine Kraft dar, deren Natur sich aus der Abwesenheit dieser Substanzen in einer Form äußert, worin ihre Regungen sich verkehren müssen, indem sie sich gegen ihren eigenen Inhalt wenden und erregt nach einer bestimmten Form von verkehrter Wirklichkeit drängen. So treibt er die Selbstwahrnehmung durch seine Formbestimmung zu ihrer Verkehrung an, weil er eben nichts anderes als die Kraft ihrer abwesenden Natur ist, die zur Aufhebung ihrer Nichtigkeit drängt (siehe Nichtung). Ein solcher Trieb begründet sich immer aus einer abwesenden Natur, die allerdings auch durch eine ihr äußerliche und feindliche Wirklichkeit bestimmt sein kann.

Die Ausgeschlossenheit und Ausschließlichkeit der Liebe hatte zur Zeit der Studentenbewegung eine abgrundtiefe Feindschaft zur bürgerlichen Gesellschaft bestimmt, - allerdings auch ähnlich wie sie sich im Nationalsozialismus geoffenbahrt hatte. Die Todesmutigkeit in dieser Bewegung war Thema bei Franz Josef Degenhard:

"Schließ die Fensterläden. Bing mir das MG. Zapf ein Kännchen Schnaps vom Faß. Schlaf bei unsren Kindern. Küß mich, und dann geh. Halt - verbrenn noch den Familienpaß. Horch, sie singen Lieder. Gläser klingen. Siehst du was? Offnet man die Kragen? Ballt man schon die Hand ums Glas? Nein, dies Lachen kenn ich - alles ist noch halber Spaß. Ich entsichre erst, wenn man im Chor und Marschtakt lacht. Wann beginnt die Nacht?"

(Franz Josef Degenhard - "Feierabend" https://www.youtube.com/watch?v=5tA3ZWoBmMY)