Volk

Aus kulturkritik
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"Während wir speziell die deutschen Arbeiter auf die unentwickelte Gestalt des deutschen Proletariats binweisen, schmeichelt Ihr aufs plumpste dem Nationalgefühl und dem Standesvorurteil der deutschen Handwerker, was allerdings populärer ist. Wie von den [bürgerlichen] Demokraten das Wort Volk zu einem heiligen Wesen gemacht wird, so von Euch das Wort Proletariat. Wie die Demokraten schiebt Ihr der revolutionären Entwicklung die Phrase der Revolution unter." (Marx MEW 8, S. 412)

Der Begriff Volk hat verschiedene Bedeutungen, einmal als in sich abstrakt identischer Begriff für die Summe der Bewohner einer Landschaft, oder als Bezeichnung einer Bevölkerung oder der Rechtspersönlichkeit eines politsch umschriebenen Lebensraums. An sich ist Volk ein biologischer Begriff, mit welchem gleiche Wesens- und Lebensart verschiedener Individuen einer Tierart (vergl. z.B. Bienenvolk, Ameisenvolk), als instinkthaft vorausgesetztes Gesamterhaltungsinteresse zusammengefasst wird, das nicht aus ener Bevölkerung von Individuen begründet ist und daher auch keine Individuen zur Voraussetzung und Bedingung nötig hat. Allgemein meint dieser Begriff ein von Natur aus überindividuelles Gemeinsystem, das durch sein naturgegebenen Zusammenwirken in einem einfachen Gemeinwesen und damit identischer Zweckmäßigkeit existiert. Psychologisch bietet dieser eine Identifizierung von Narzissten durch eine Verallgemeinerung von sich in der Vorstellung von einer hoch verdichteten Masse von Menschen (siehe Massenmensch). Von daher wurde aus dem "Volk" eine Kulturpersönlichkeit einer kulturellen Masse zu einer Massenkultur.

In der Biologie allerdings spricht man schon bei Herdentieren nicht mehr von Volk, da sich dort der Zusammenhang aus den Ereignissen erst ergibt, also nicht als vorausgesetzt angesehen werden kann, wiewohl auch eine Herde den Zusammenhang einer Tierart darstellt, aber als Lebenszusammenhang von Individuen, deren einzelnes Verhalten das Verhalten der Herde mit bestimmt.

Sieht man von allem ab, was die gesellschaftichen Zusammenhänge, ihr Werden und ihre Geschichte enthalten und bewirken, so bleibt eine abstrakte Tatsache von Gemeinsamkeiten einer Bevölkerung übrig. Nicht ihre konkrete Kultur oder Wirtschaftsverhältnisse, sondern ihr bloßes Dasein als eine ansonsten unbetimmte Bevölkerung wird dann mit Volk bezeichnet und "im Namen des Volkes" zum Legitimationsgrund der abstrakt bestimmten Rechte und Sitten. Aber es handelt sich hierbei nicht um wirklich gesellschaftlihe Inhalte und Formen, sondern lediglich um die Formation einer abstrakt menschlichen Gesellschaft.

Bei Menschen bezweckt in politischen Äußerungen der Begriff von einem Volk, das wie ein Subjekt des Gemeinwesens einer politisch definierten Bevölkerung, die als politische Masse ihre Subjektivität kulturell mächtig darstellen soll. Der Begriff verfolgt die Absicht, isolierte Lebenswelten per Gesinnung subjektiv zu vergemeinschaften und hierdurch eine Menschenmasse als ein politisches Subjekt darzustellen ("Wir sind das Volk!"). In diesem können sich die Mangelgefühle in verödeten gesellschaftlichen Wirklichkeiten subjektivieren, soweit darin eine hohe Dichte des Erlebens durch die Zugehörigkeit und Anwesenheit vieler Menschen erreicht wird.

Das "Volk" soll eine Identität stiften von politisch bestimmtem Lebensraum und der Kultur, die darin vorzufinden ist und mit der sich auf diese Weise nicht nur Politik machen lässt, sondern auch Kultur, politische Kultur, also beides in einem. Dies soll die Selbstbehauptung eines allgemeinen politischen Subjekts namens Volk begründen, der für ein naturalisiertes Subjekt der Politik, also quasi stellvertretend für ein gesellschaftliches Subjekt steht. Der Begriff verhilft vor allem einer Identifikation eines allgemein unmittelbaren Erlebens zu einer politischen abstrakten Allgemeinheit an Erregungen die sich zu einem Selbstgefühl der Macht akkumulieren, worin sich Gefühle selbst als Masse von Empfindungen darstellen können und durch das die Konkurrenz der Menschen überwunden scheinen soll. Darin behauptet sich ein ihnen in der Illusion eines Gemeinsinns vorausgesetztes Gemeinsystem, das sie - den Tiervölkern gleich - zusammenhält und auch ihren Zusammenhang als Kultur- und Staatswesen im Zweck eines nationalen Interesse begründen soll (siehe hierzu auch Kulturstaat). Von daher wird dieser Begriff gerne von reaktionären Politikern und Populisten verwendet, besonders wenn nationalistische Zwecke vorgestellt werden. Allerdings hat der Begriff auch im Rechtsverständnis des bürgerlichen Staates seinen Stellenwert, wenn die Bevölkerung eines Landes als Gesamtinteresse eines Volkes zusammengefasst wird. Geurteilt wird "im Namen des Volkes", das Grundgesetz bezieht sich auf das Entfaltungspotenzial eines Volkes, und die repräsentative Demokratie will den politischen Willen des Volkes vertreten u.dgl. mehr. Man könnte leicht bei "Bevölkerung" oder "deutsche Bevölkerung" oder "die Deutschen" bleiben. Der Begriff "Bevölkerung" macht immerhin deutlich, dass es sich um bestimmte Menschen in einer bestimmten Region handelt, die also nicht als Einheit von Land, Kultur, Politik und Menschen naturalisiert sein muss.

Wo das Volk wie ein Subjekt verstanden wird, sehen die Menschen von sich als tätige, sich vergegenständlichende Wesen ab. Und wo ein Mensch von sich selbst absieht, unterliegt er freiwillig der Substanz der Abstraktion einer gesellschaftlichen Macht, der Ausschließlichkeit des Gemachten, und bestärkt die Isolation der Menschen und Produkte durch deren Abtrennung von ihrer Lebenstätigkeit, die mit der Verwirklichung des Einen die Entwirklichung des anderen betreibt, das Getrennte gegeneinander ausspielt und einander fremd macht. Durch die Konkurrenz wird jeder dem Anderen fremd und zugleich zu seinem Gegner. Jeder ist durch sie der Fremde als Feind des anderen (siehe auch Fremdenfeindlichkeit).

Fatal ist, dass das Konkurrenzprinzip oft gerade von den Menschen am stärksten verinnerlicht wird, die nur ihre Arbeitskraft veräußern können und sich in eine Spirale einer Selbstentwertung empfinden. Wo sie ökonomisch unterliegen, suchen sie einen Ausweg durch eine Selbstbewertung, die zwangsläufig in Selbstverwertung mündet, durch die sie sich um so selbstloser machen, wie sie sich wertlos fühlen. Und wo sie hierüber kein Bewusstsein erlangen, können sie sich hiergegen auch nur noch persönlich als Bürger einer Nation behaupten, durch die sie sich letztlich noch politisch bestimmen (siehe auch Nationalismus) und sich darin selbstlos, sich selbst zum Kollektiv vereinigter Bürger, zum Volk machen.

Mit dem Begriff Volk wird die Bevölkerung einer bestimmten Region als bürgerliches, nationales Gemeinwesen substantiviert, quasi biologisiert und gerne auch als eine Kulturgemeinschaft genommen, wie sie im Lauf der Geschichte durch Lebenszusammenhänge (z.B. biologische oder kulturelle Gemeinsamkeiten, Sprache, Natur- und Arbeitsbeziehungen, Werkzeug und sonstigem gemeinschaftlichem Lebensausdruck) entstanden sein soll und sich in gemeinschaftlichen Kulturgewohnheiten (Religion, Kult, Sitte, Brauchtum) und oft auch in geografischen und anderen natürlichen Merkmalen ihrer Herkunft ausgeprägt hat. Solcherlei Biologisierung tendiert auch leicht zu einer Rassentheorie (siehe auch Rasse).

Mit dem Volksbegriff wurden in bestimmten Krisenlagen auch die wirtschaftlichen oder kulturellen Krisen biologisiert und der notwendige Schutz einer bestimmten Kultur behauptet (siehe Samuel Huntington, Oswalt Spengler). Aber die Lebensart der Bewohnern unterschiedlicher Regionen bestand eigentlich nur aus dem konkreten Unterschied der Kulturen und Wirtschaftweisen, sofern sich keine Überschneidung von wirtschaftlichen Lebensräumen (z.B. Bodenschätze, Jagdgrund) ergeben hatten. Dies bedarf keiner Abstraktion zu einem Volksbegriff. Ohne diesen bleiben sie in freier Vermittlung, zunächst meist über den Austausch von Lebensmitteln immer noch aufeinander bezogen und nicht ausschließlich, also für sich und gegen andere bestimmt. Auch die Kulte und Religionen verschiedener Bevölkerungen dienten vor allem ihrem inneren Zusammenahng und Zusammehalt und hatten keine notwendig feindliche Beziehung zueinander und setzten sich nicht als Gemeinsystem selbst voraus, weder biologisch, noch als Seinsbestimmtheit.

Weder bei den Menschen, noch bei den Tieren gibt es eine Ontologie der Feindschaft. Nur durch die Not der Ausbreitung, durch Beengung (Angst) und aus Ermangelung an Lebensmitteln haben sich Landsmannschaften bekämpft. Aus dem Schutzbedürfnis von Art und Lebensraum wurden hieraus politische Formen als Grenzziehung und Befestigung der verschiednen Länder und Nationen, Staatsformen (z.B. Stammesgebiete, Fürstentümer, Königreiche, Republiken), sodass aus ihrem militärischen Herrschaftsbereich sich auch ihre politische Macht ergeben hatte. Mit dem Begriff eines Volkes wird dies willentlich zu einem Kulturbrgiff verschleiert, um derlei Herrsschaft auch nach innen ideologisch abzusichern.

Der bürgerliche Staat hat mit dem Volk zwar ein historisch entwickeltes Schutzbedürfnis gemein, welches sich auf das gesellschaftliche Verhältnis der Menschen in solchen Gemeinschaften bezieht und dessen Lebensraum und Reproduktion sichert (als abgrenzende, also negative Formbestimmung des Volkes, welches auch seinen formellen Selbsterhalt bewahren muss). Aber er repräsentiert keine biologische oder kulturell gebildete Substanz.

Der Staat ist nicht die politische Form eines Volkes, sondern eines Wirtschaftsraumes, in welchem es sich reproduziert und entwickelt. Als Reflex gesellschaftlicher Notwendigkeiten bildeten sich Nationen, in welchem sich der Schutz des Selbsterhalts als Hoheitsbereich einer Staatsgewalt mächtig machte. Kultur und Wirtschaftsraum standen zunächst in einer relativ willkürlichen Beziehung. Die frühen Staatsformen vor dem Bürgertum waren mehr von kriegerischen Eroberungs- und Aneignungsinteressen bestimmmt, denn von Notwendigkeiten der Reproduktion. Die Besetzung fremder Völker bestanden aus dem Raub und dessem Resultat, dem Besitz, war deren Aneignungsform als Privatisierung des Eroberten (privat kommt im Lateinischen von Raub). Erst mit der vollkommenen Ausbreitung von Befestigungen, mit gesicherten Besitzverhältnissen entstand die bürgerliche Gesellschaft und deren Staat, der Nationalstaat. Dieser hatte mit dem Volk als solches eigentlich nichts gemein.

Von der Seite der Nationalisten wird solche objektive Bestimmtheit des Besitzes durch einen Begriff von Volk zu einem Kulturbegriff subjektiviert. Die Nation als eine Fürsorgeeinrichtung der Absicherung einer Bevölkerung wird hierdurch als Subjekt einer Allgemeinheit angesehen, das sich zu "seinem Volk" als Gesamtheit seines kulturellen Interesses verhalte. Hierdurch wird eine Gleichsetzung der Nation mit Volk, Gesinnung und "Vaterland" (siehePatriotismus) bewirkt, die das Volk zum Adressaten des Staates herabsetzt und ihn zum "Vater" des gesellschaftlichen Zusammenhangs kührt. Diese Gleichsetzung wird in Krisenzeiten mit kulturpolitischer Zielsetzung zur Vorstellung einer Volksseele mit einem Volkskörper in einer Volksgemeinschaft entwickelt. Eine solche Vorstellung wurde zur Grundlage des Nationalsozialismus (s.a. Faschismus).

Volk ist von dieser Seite besonders dadurch zu einem rassistischen Begriff geworden, dass er für kulturkämpferische Zwecke zu einem Einheitsbegriff von völlig unterschiedlichen Begriffen gemacht wurde: Kulturkreis, Nation, Religion (Glaube), Vaterland, Heimat, Kult, Rasse, Wirtschaftseinheit, Lebensraum usw.