Kategorischer Imperativ
"Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne." (Immanuel Kant, § 7 Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft in der Kritik der praktischen Vernunft S. 36)
Mit ihrem bürgerlichen Bewusstsein verstehen sich die Kulturkonsumenten voraussetzungslos als einzelne unmittelbare und unvermittelte, also monadische Individuen, als autarke Subjekte einer Welt, die durch ihre persönliche Selbstverwirklichung entsteht und begründet sei (siehe auch Monade als "eindimensionales Bewusstsein" zwanghafter Verhältnisse). Objektiv gibt es für sie daher auch kein Allgemeinwesen vor ihnen selbst, als gesellschaftliche Sache durch sie von und für Menschen (siehe hierzu auch Produktion) , die ihre Verhältnisse begründen und entwickeln würde, sondern nur die objektiven Dinge der Natur als voraussetzungslose und also unbedingte Gegenstände ihres Lebens, wie sie ihnen als Dinge an sich begegnen und vorkommen. Das allgemeine Wesen ihrer Gesellschaft (siehe auch Gemeinwesen) gilt ihnen daher als Ausdruck ihrer persönlich verallgemeinerten Subjektivität (siehe auch Personifikation), als Alllgemeinwesen ihrer Persönlichkeiten, als Versammlung und Aufsummierung der Einzelinteressen. Immanuel Kant hat dies zur Grundlage seiner Philosophie gemacht und mit einem ketegorialen Imperativ als gesellschaftsbildende Katerorie interpretiert (siehe auch Elementarform).
Der kategorische Imperativ ist ein Appell an die Vernunft zur Bildung von Grundsätzen des einzelnen Willens, sich als ein allgemein vorgestellter Wille vernünftig zu erweisen, indem er sich aus einer Verallgemeinerung von einzelnen Vorstellungen und Absichten begründet. Er soll sich selbst als allgemeines Prinzip verstehen können, um gut zu sein. Jeder Wille sei so als subjektiver Grundsatz (Maxime) zu verstehen, der auch als objektiver Grundsatz (Imperativ) abverlangt ist und die Vernunft seiner Moral sich hieraus ergibt und bewertet.
"Wäre die Vernunft der Maßstab des Positiven, so wäre das Positive nicht der Maßstab der Vernunft. "Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode!" Hugo entheiligt daher alles, was dem rechtlichen, dem sittlichen, dem politischen Menschen heilig ist, aber er zerschlägt diese Heiligen nur, um ihnen den historischen Reliquiendienst erweisen zu können, er schändet sie vor den Augen der Vernunft, um sie hinterher zu Ehren zu bringen vor den Augen der Historie, zugleich aber auch, um die historischen Augen zu Ehren zu bringen." ((Marx-Engels-Werke Bd.1, S. 78)
Populär ist dieser Imperativ besonders dadurch geworden, dass er wie ein Sprichwort interpretiert wird: "Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu". Doch er meint etwas ganz anderes: Während das Sprichwort einen zwischenmenschlichen Umgang von Mensch zu Mensch einfordert, appeliert der kategorische Imperativ an die Vorstellung eines allgemein menschlichen Verhaltens, das die Grundlage eines Friedens unter den Menschen erwirken und gleichgültig gegen ihre wirklichen Verhältnisse und Interessen sein soll, also Begründung einer allgemein gültigen Moral sein muss und jeden zum "mündigen Bürger" in der Teilhabe an dieser Moral machen will, die dadurch zu einer totalen Ideologie einer Gesellschaft wird, deren Wirklichkeit durch den Warentausch wirklich gleichgültig gegen ihre Bildung und Beziehungen ist. Es ist der Grundsatz derAufklärung, die sich gegen feudale Hierarchien bestimmt hatte, indem sie die Vernunft als Prinzip der Gleichheit der Menschen hervortat.
Alle Moral wurde bis dahin aus der Religion oder der Ontologie begründet. Kant wollte sich dem mit einem Imperativ, der sich als Kritik der praktischen Vernunft aus dem Willen der Menschen allgemein ableitet, widersetzen. Dies war wie der Grundsatz der bürgerlichen Demokratie: Jedes Allgemeingebot sei aus dem Willen der Menschen im einzelnen begründet, wie ihr diese auch allgemein folgen müssen. Die Werte einer solchen Moral ergeben sich also nicht aus einer metaphysischen Beurteilung einer Handlung oder einer gesellschaftlichen Tätigkeit, sondern aus ihrer Absicht. Gilt diese so bewertet als gut, so sei dies auch ihre Handlung. Kant setzte Willen mit Tätigkeit gleich und so war ihm jedes Verhältnis als Verhalten von Subjekten mit Willen zugleich gesellschaftliche Wirklichkeit, in der sich das allgemeine Willensverhältnis als Gesetz bestätigt. Daher geht es bei Kant um die Bewertung subjektiver Antriebe, die das Gewissen ausmachen sollen, durch welches sie sich auch gut oder schlecht objektivieren. Aus ihrem Gewissen ergebe sich die Pflicht, der eigenen Vernunft folge zu leisten. Das eigentlich Gute sei nur der gute Wille, der ein gutes Gewissen habe.
Diese Pflicht erscheint somit subjektiv für eine gute Willensbildung vernünftig und soll zugleich gesellschaftlich als objektive Ethik bestehen, weil sie die Vorstellung einer allgemeinen Gesetzgebung erfüllt. Um sich selbst als gesellschaftlichen Menschen zu wissen, muss jeder seinen einzelnen Willen an einer Vorstellung in seiner Verallgemeinerung in Wirklichkeit beschränken. Aber in der Tat kann diese Beschränkung nur einen Widersinn verwirklichen, weil sie sich substanziell zwischen ihrer einzelnen Vorstellung und ihrer allgemeinen Verwirklichung widersprechen muss (siehe hierzu auch Liberalismus), also insgesamt unvernünftig, weil unlogisch ist (siehe Logik).
Schon die Formulierung dieses Imperativs zeigt sein Problem: Die Maximalformulierung des Willens, den Grundsatz in der eigener Wilensbildung schon als imperative Gesetzgebung einer Gesellschaft zu begreifen, hebt notwendig jeden Willen auf, ist notwendig willenlos, da ein Allgemeinwille, selbst wenn es ihn geben würde, kein vernünftiges Gesetz sein könnte, weil es den Allgemeinanspruch des Willens selbst nur verallgemeinern würde. Alle Menschen können sich nicht allgemein zu sich verhalten, ohne sich als einzelne Menschen verallgemeinert zu haben; sie würden sich allgemein aufheben, bekämpfen und in ihrer Einzelheit umkommen. Jede allgemeine Maxime eines Willens würde eine implizite Gleichschaltung des Willens erfordern, die ihn als solchen aufhebt, weil durch sie ihr Sollen und Wollen in eins, also als Sollen des Willens gesetzt wird. Der Wille ist also allgemein vorgestellt gar nicht möglich - es sei denn, es handelt sich um eine Gesinnung. Und tatsächlich widerspricht sie auch nicht dem kategorischen Imperativ von Kant, sondern ist eher der hintersinnige Ausweg aus seinem Dilemma, solange es sich im Verhältnis des Wollens bewegt. Der Nationalsozialismus hat tatsächlich davon gezehrt und jede Absicht auf ihre Gesinnung geprüft. Er begründete sich ja auch aus dem Unvermögen des reaktionären Bewusstseins, seinen Willen aus einer wirklichen Sinnlildung, aus dem Vermögen seiner Geschichte heraus zu begründen.
Wo aber weder stofflich noch menschlich ein Vermögen vorhanden ist, herrscht die bloße Reaktion als reaktionäres Bewusstsein. Und weil dieses sich gegen das Vermögen als "guter Wille" für sich herauskehrt, muss dieser Wille sich gerade gegen das kehren, was er zu bezwecken vorgibt. So kann auch der Kategorische Imperativ von Immanul Kant zur Grundlage der Reaktion werden, wie dieser in der Grundlegung seiner Metaphysik schreibt:
"Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zur Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d. i. an sich, gut und, für sich selbst betrachtet, ohne Vergleich weit höher zu schätzen als alles, was durch ihn zu Gunsten irgend einer Neigung, ja wenn man will, der Summe aller Neigungen nur immer zu Stande gebracht werden könnte. Wenn gleich durch eine besondere Ungunst des Schicksals, oder durch kärgliche Ausstattung einer stiefmütterlichen Natur es diesem Willen gänzlich an Vermögen fehlte, seine Absicht durchzusetzen; wenn bei seiner größten Bestrebung dennoch nichts von ihm ausgerichtet würde, und nur der gute Wille (freilich nicht etwa als ein bloßer Wunsch, sondern als die Aufbietung aller Mittel, so weit sie in unserer Gewalt sind) übrig bliebe: so würde er wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen, als etwas, das seinen vollen Werth in sich selbst hat. Die Nützlichkeit oder Fruchtlosigkeit kann diesem Werthe weder etwas zusetzen, noch abnehmen." (Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 394)
Der gute Wille soll und kann sich nur gegen wirkliches Vermögen verallgemeinern. Ein Allgemeinwille ist ja auch immer schon ein Unding: Menschliche Allgemeinheit gibt es nicht im Wollen sondern nur in dessen Beschränkung - z.B. durch Gesetz, welches Willkür gegen Willkür beschränkt, wie auch Wille gegen Wille stellt, beurteilt und Recht spricht, wo sich dieses Verhältnis bricht und also nicht vollziehen kann. Ein vernünftiges Gesetz kann daher gerade nicht Ausdruck der Maxime des Willens sein. Besieht man sich dies an Kants Text "zum ewigen Frieden", so wird die Verkehrung von Wille in Sollen deutlich: Wenn jeder Frieden will, so muss er friedlich handeln. Es scheint so einfach, wenn Friede wirklich Gegenstand eines Willens sein könnte. Aber Frieden ist genausowenig Wille, wie z.B. Gerechtigkeit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Er ist Beschreibung eines Verhältnisses, das nur sein kann, wenn es schon wirklich ist und dies ist es nur durch Handeln. Natürlich kann man darauf hin arbeiten wollen; aber das meinen ja auch die Krieger selbst, denn jeder Krieg enthält auch eine Friedensintension, auch wenn diese nur auf die Zermürbung des Feindes gerichtet ist, jeweils von jeder Seite. So könnten denn die Soldaten hinter ihren Kanonen getrost vom "ewigen Frieden" lesen, denn sie können sich auf dem Weg dahin sehen - wenn nämlich alle aufhören wollten mit dem Schießen; und nichts würden sie lieber tun - aber der Feind will es ja nicht. Es geht also im Kategorischen Imperativ in Wahrheit nicht um einen Willen, sondern um das Gebot der vorweggenommen Beschränkung, also um Aufhebung oder Minderung des Willens. Er ist einzig die Vernunft der Selbstbeschränkung, die den Verhältnissen dient, in welchen die Menschen ihren Willen haben.
Von daher ist dieser Imperativ auch letztlich nur rückwärts gewandt. Nichts Menschliches wäre entstanden, wenn der Anspruch des Menschen auf eine vorstellbare Menschlichkeit wirklich allgemein wirksam wäre. Jeder Mensch beschränkt sich darin in der Vorstellung von allgemeiner Vernunft um allgemein vernünftig zu handeln. Es müsste also in der Beschränkung auf eine Vernünftigkeit eines allgemeinen Verhaltens in einem allgemeinen Verhältnis handeln. Ein solches Verhältnis kann dem Menschen nur äußerlich sein und äußerlich bleiben; Vernunft wird so zum Knebel der gegebenen Verhältnisse. Kann ich mich denn äußern, ohne meine Beschränktheit allgemein zu machen? Kann ich etwas tun, was prinzipiell allen gerecht wird? Ganz vernünftig ist in dieser Logik nur das Kapital, das jedem dient, um sich selbst zu dienen; immerhin entwickelt es so einen Lebenszusammehang der Menschen hinter ihrem Rücken. Der Feind kommt dann nur noch von außen, jenseits dieses allgemeinen Zusammenhangs, denn aus ihm heraus lässt sich keine Feindschaft mehr erklären.
Der kategorische Imperativ ist eine Selbstlähmung durch Selbsttäuschung: Ein Mensch soll sich zugleich allgemein denken, einzelner wie allgemeiner Mensch in einem sein. Das ist unmöglich, ohne sich in seiner Eigenheit zu paralysieren: Jeder Mensch müsste sich mächtig gegen sein Eigenes verhalten. Es ist dies die Formulierung des Besitztums gegen das Eigentum, die Sittlichkeit des Bürgertums (Verantwortung der Allgemeinheit), wie es die Aufklärung als ihr Prinzip hat.
Adorno ist darin gleichermaßen gefangen, wie er sich hiergegen begründet, wenn er seinen Imperativ auf das Handeln bezieht, "alles zu tun, dass Ausschwitz nicht sich wiederhole". Die Allgemeinheit von Ausschwitz gibt es nicht. Es war konkrete Geschichte und es bedarf der konkreten Erkenntnis der Geschichte wie des Augenblicks, um sich gegen das zu stellen, was Vergleichbares ermöglichen würde. Allgemein bewirkt so dieser Satz das Gegenteil von dem, was damit intendiert ist: Er wird zum Allgemeinplatz. Dessen Verwendung z.B. durch die Antideutschen zeigt selbst, wie absurd solch nominale Verallgemeinerung ist, wenn sie sich für den Irakkrieg der Amerikaner einsetzen, um sich auf die Seite eines vermeintlichen Friedens zugunsten von Israel zu stellen, das auch sie mit den Juden gleichsetzen (siehe hierzu Antisemitismus).
Eine mögliche Lösung aus dem Dilemma das kategorischen Imperativs wäre seine Wendung von der Ethik zur Lebenspraxis durch die einfache Volksweisheit: "Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu." Vielleicht braucht es hier einfach keiner Philosophie. Man könnte es natürlich auch philosophischer aussprechen: "Handle immer so, wie du selbst behandelt sein willst." Damit ist Intension, Absicht und Wille und vor allem deren Verallgemeinerung ausgelassen und die Tätigkeit selbst das Maß der Dinge. Und zugleich wird deutlich, wie naiv im Grunde diese ganze Weisheit des imperativen Denkens ist. Aber immerhin ist es das höchste, wozu es ein interpretativer Verstand bringen kann, wenn er seine Vernunft als Formvollendung des Besitzstandsdenkens imperativ äußert, also allgemeines Sollen dessen formuliert, was der einzelne will, also der Allgemeinheit in der Identität mit dem Einzelnen vorgreift und so zur Ideologie des vereinzelt Allgemeinen im Willen als Sollen wird - zu einem Widersinn in sich. Der Wille ist schon wieder mal der Vater des Gedankens, "doch die Verhältnisse, die sind nicht so" (B.Brecht).