Nationalstaat

Aus kulturkritik
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"Der politische Staat verhält sich ebenso spiritualistisch zur bürgerlichen Gesellschaft wie der Himmel zur Erde. Er steht in demselben Gegensatz zu ihr, er überwindet sie in derselben Weise wie die Religion die Beschränktheit der profanen Welt, d.h., indem er sie ebenfalls wieder anerkennen, herstellen, sich selbst von ihr beherrschen lassen muß. Der Mensch in seiner nächsten Wirklichkeit, in der bürgerlichen Gesellschaft, ist ein profanes Wesen. Hier, wo er als wirkliches Individuum sich selbst und andern gilt, ist er eine unwahre Erscheinung. In dem Staat dagegen, wo der Mensch als Gattungswesen gilt, ist er das imaginäre Glied einer eingebildeten Souveränität, ist er seines wirklichen individuellen Lebens beraubt und mit einer unwirklichen Allgemeinheit erfüllt." (Marx-Engels-Werke Bd.1, S. 354 bis 355)

In dieser Wirklichkeit erscheint er sich selbst als Repräsentant der Prominenz eines allgemeinen politischen Willens (siehe repräsentative Demokratie), auf dem er laut Staatsverfassung der bürgerlichen Gesellschaft gründen soll (siehe auch Wählermeinung).

"Je ausgebildeter und allgemeiner der politische Verstand eines Volkes ist, um so mehr verschwendet das Proletariat - wenigstens im Beginn der Bewegung - seine Kräfte an unverständige, nutzlose und in Blut erstickte Erneu[erungen]. Weil es in der Form der Politik denkt, erblickt es den Grund aller Übelstände im Willen und alle Mittel zur Abhilfe in der Gewalt und dem Umsturz einer bestimmten Staatsform." (MEW 1, 407)

Nation (lat. natio, "Volk, Sippschaft, Menschenschlag, Gattung, Klasse, Schar", abgeleitet vom Verb nasci, "geboren werden") bezeichnet eine umschlossene Gemeinschaft von Menschen eines politisch bestimmten Lebensraums, denen gemeinsame Eigenschaften einer lebensräumlich bestimmten Kultur wie Sprache, Tradition, Sitten, Bräuche oder Abstammung als Gemeinwesen zugeschrieben werden. In dieser Auffassung wäre der Nationalstaat eine Ursprungsgesellschaft, in der sich das bürgerliche Gemeinwesen politisch versteht und sich wie eine heile Weltvoller wirtschaftlicher und kultureller Widersprüche behauptet. Der Nationalstaat ist aber an sich nur eine Verfassung, das Konstrukt einer politisch verfassten Nation, damit auch das Selbstverständnis und die Wirtschaftsform des bürgerlichen Staates. Er erscheint sich selbst gerne als Agentur des politischen Wirtschaftsraums einer Nation, als politökonomischer Funktionär eines Volkes. Sein Ausbreitungsgebiet gilt ihm von daher nicht als Markt, also als ein Verhältnis der Wirtschaft, sondern als das eines durch Grenzen umschriebenen Stoffwechsels, der idealiter auch die Ausdehnung der Produktion und Reproduktion einer bestimmten Bevölkerung sein müsste. Von da her wäre er das nur räumlich begrenzte Haushaltungssystem einer bestimmten Kultur, wie sie geschichtlich durch Sprache, Schrift, Kunst usw. entwickelt ist, letztlich Kulturstaat.

Ein politischer Wille ist der Wille, eine Geselschaft (siehe auch Gemeinschaft) zu gestalten und durch das politisch begründete Entscheiden und Handeln politischer Persönlichkeiten (siehe auch Reprädentation) zu bestimmen. Von daher erscheint er als ein rein Staat persönlicher Wille nur von der Existenz und der Bildung von Personen willkürlich und und ansonsten unendlich bestimmt. Lediglich das kulturelle und wirtschaftliche Dasein ist seine Grenze. Doch soweit er sich durch die Notwendigkeiten von Nationalstaat begründet ist er substanziell durch deren Existenz und und republikanische Systematik ganz unpersönlch von ihren wirtschaftlichen und kulturellen Institutionen bestimmt, die sich in ihrer Vermischung austauschen und von daher ihre Bürger zwangsläufig über ihre existenzielle Gewalt täuschen. In Krisenzeiten verselbständigt dies über deren mächstige Einheit zu einer übermenschlichen Staatsgewalt und von daher auch in der Gestalt von politischen Persönlichkeiten zu einer Staatsgewalt von bürgerlicher Macht schlechthin, die in Wahrheit sich in ihrem institutionellen Gemenge aus politischer Kultur und politischer Wirtschaft (siehe auch kritik der politischen Ökonomie) über die Staatsgewalt ihrer Repräsentation vereint und darstelllt – z.B. über eine repräsentative Demokratie – verelbständigen, begründen und legitimieren (siehe auch repräsentative Demokratie).

"Gerade das Durchsetzen der voneinander unabhängigen Individuen und ihrer eignen Willen, das auf dieser Basis in ihrem Verhalten gegeneinander notwendig egoistisch ist, macht die Selbstverleugnung im Gesetz und Recht nötig, Selbstverleugnung im Ausnahmsfall, Selbstbehauptung ihrer Interessen im Durchschnittsfall (die daher nicht ihnen, sondern nur dem "mit sich einigen Egoisten" für Selbstverleugnung gilt). Dasselbe gilt von den beherrschten Klassen, von deren Willen es ebensowenig abhängt, ob Gesetz und Staat bestehen. Z.B. solange die Produktivkräfte noch nicht so weit entwickelt sind, um die Konkurrenz überflüssig zu machen, und deshalb die Konkurrenz immer wieder hervorrufen würden, solange würden die beherrschten Klassen das Unmögliche wollen, wenn sie den "Willen" hätten, die Konkurrenz und mit ihr Staat und Gesetz abzuschaffen. Übrigens entsteht dieser "Wille", ehe die Verhältnisse so weit entwickelt sind, daß sie ihn produzieren können, auch nur in der Einbildung des Ideologen. Nachdem die Verhältnisse weit genug entwickelt waren, ihn zu produzieren, kann der Ideologe diesen Willen als einen bloß willkürlichen und daher zu allen Zeiten und unter allen Umständen faßbaren sich vorstellen." (MEW Bd. 3, S. 311f)

Aber ein solcher Staat ist die Fiktion einer Ursprungstheorie. Solange ein Staat notwendig ist, gründet er auf der Ökonomie einer bestimmten Kultur. Schon in den frühen Zeiten des Kapitalismus war der Staat nicht vom Stoffwechsel seiner Bevölkerung, sondern vom Entwicklungsbedürfnis der politischen Ökonomie bestimmt. Seine Reproduktionsleistungen und kulturellen Aufgaben erfüllt er nur im Maßstab der Nationalökonomie und ist hierbei ebenso auf andere Staaten nach außen bezogen, wie er sich nach innen für günstige Wirtschaftsverhältnisse einsetzt. Der Staat als politische Form einer Wirtschaftsnation kann niemals ein quasi natürliches Gemeinwesen sein. Als das Gemeinwesen einer politischen Ökonomie bestimmt er sich nicht aus einem Volk und seiner Kultur, sondern regelt das Verhältnis der Abgaben der Bürger (Steuer) zu den Ausgaben des Staates für allgemeine Verkehrs- und Reproduktionsbedingungen der Volkswirtschaft und sichert den Kapital- und Geldhaushalt seines Staatsgebiets. In fortgeschrittener Form reguliert er als Sozialstaat auch die allgemeine Reproduktion und Krisenbekämpfung dieses Wirtschaftsgebiets.

Das Dilemmma des Staates ist jenes der Politik höchstselbst: Sie kann nicht wirklich allgemein, also nicht allen Menschen gleichermaßen gemein sein. Der bürgerliche Staat hat das Dilemmma der Politik des politischen Staats zugunsten ihrer Privatform - dem Privateigentums - in seiner politischen Form im abstrakt allgemeinen aufgehoben – eben so überwunden, dass sich der in seiner Vereinzelung verbürgte Mensch auch als Burgherr einer gesellschaftlichen Form seiner verallgemeinerten Existenz anerkannt, als abstrakt politisches Subjekt, als bürgerliches Subjekt fühlen und verstehen darf (siehe auch bürgerliches Bewusstsein). Von daher kann sich der bürgerliche Staat in seiner Einheit von Verstand und Gefühl auch als Kirche seiner Glaubensgemeinschaft verwirklichen (siehe auch Nationalstaat).

Der Nationalstat entwickelt in den Zeiten einer prosperierenden Nationalökonomie durch das Vermögen der zirkulierenden Geldwerte seiner Währung und ihrem als Existenzwert international gültigen Mehrwert eine Kultur des Geldes einen nationalen Überschuss an Werten, der durch einen überdimensionierten Kulturkonsum zu einer Kultur der Befriedung entwickelt, die in schlechteren Zeiten seines Welthandles durch wirtschaftliche und kulturelle Verwerfungen die Bevölkerung im Großen und Ganzen enttäuscht und in einem nationalistischen Selbstbewusstsein diverseHeilkräfte zu finden sucht (siehe auch Heilserwartung). Das Dilemma jeder Nationalkultur ist eben, dass sie unmittelbar vom Wohlstand einer Nation abhängig ist.

Ursprünglich war die Sicherung der nationalen Wirtschaft dadurch gewährleistet, dass Gold als Deckung des Geldkreislaufes einer Nation notwendig war. Durch die Entwicklung eines aggressiven Weltmarktes wurde diese Deckung als Schranke der Spekulation, also als Grenze der Kapitalzirkulation vom internationalen Kapital angefochten (siehe Bretton-Wood) und in transnationalen Konzernen aufgehoben, um die Verwertungskrisen der 80ger Jahre durch expansive Devisen-Spekulationen zu überwinden. Der Devisen- und Aktienmarkt führte durch die Befreiung von nationaler Finanzmittel-Beschränkung zum "entfesselten" Kapitalismus, dem letztlich auch der Nationalstaat und dessen finanzpolitischen Regulationsmechanismus nur ein Hindernis bedeutet. Aus Angst vor dem Verlust nationaler Kapitalvermögen durch Abwanderung ist der Nationalstaat seit dem der Büttel des internationalen Kapitals und auch unmittelbar (also nicht nur als ideelles Gesamtkapital) weitgehend von dessen Begehrlichkeiten bestimmt. Die Einbeziehung der Finanzspekulation in die nationalen Sozial- und Rentensysteme (z.B. Riesterrente) machte ihn zudem auch abhängig von der Verwertungslage des internationalen Kapitals. Der Nationalstaat steht mit den hierin begründeten Krisen des Sozialstaates an seiner Sinnfrage. Seine künstliche und nur durch politische Macht erzwungene Restauration, wie sie von rechter Politik im Nationalismus angestrebt wird, kann die Frage nicht lösen. Die Internationalisierung einer Weltbevölkerung in kulturell aufeinander bezogene Gemeinwesen ist die den gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen in einer Weltbevölkerung adäquate Vermittlungsform. Hierfür ist allerding die Abschaffung, zumindest die vollständige Kontrolle des privaten Kapitals durch die Bevölkerung (Banken, Börse, Wertpapiere) notwendig.