Uk2023

Aus kulturkritik

Ihr Browser kann leider keine eingebetteten Frames anzeigen

3

Der nachfolgende Text ist eine Beschreibung der Argumentation in dem gleichnamigen Buch. (==> Verlagsinformationen hierzu <==)

223. Das anerzogene und das ausgeschlossene Selbstgefühl

Man muss zwischenmenschlichen Beziehungen, die daraus bestehen dass Menschen andere Menschen nach sich ziehen oder vor sich herschieben, erzieherisch nennen, weil sie einem Zweck dienen, der außerhalb ihrer Beziehung liegt und weil darin der Inhalt, der über eine Person einer anderen anerzogen und angezogen wird, sich nur persönlich darstellt, wiewohl er seinen Sinn nicht innerhalb dieser Beziehung haben kann. Diese hat sich von ihrem Grund entfrent und spielt daher keine wirkliche Rolle mehr, bleibt also als Grund ungerührt jenseits aller Erfahrung, besteht nur abstrakt aus gesellschaftlicher Notwendigkeit heraus, als Gegebenheit ihrer Nöte, als unbefangene Bedingung der zwischenmenschlichen Verhältnisse in solchen Bezogenheiten, wie sie in öffentlichen Institutionen genauso vorkommen, wie in privaten Beziehungen, Familien, Arbeitsstätten und dergleichen mehr. Verfänglich sind sie daher gerade durch ihre persönliche Gebotenheiten mit abwesenden Inhalten, persönlicher Anwesenheit fremder Gebote. Was die soziale Substanz hierbei ausmacht ist alleine die Dichte der Beziehung, wie sie durch den sozialen Raum und seiner Funktion bestimmt wird und sich von ihrem sinnlichen Zusammenhang, zur eigenen Generation, zur Lebenserfahrung und Subjektivität in eignem Leben entfernt hat.

Alle erzieherischen Beziehungen,ob sie zwischen Generationen oder Paaren oder in oder zwischen Familien oder Institutionen stattfanden, heben sich darin auf, dass die Selbstgefühle darin mit ihrer Gewohnheit, mit der Einverleibung aller Empfindungen in die Selbstgefühle nicht mehr kontrolliert sind, weil sie selbst gewöhnlich wurden. Mit den Gewohnheiten der Selbstkontrolle war eine Aufmerksamkeit entstanden, die sich zu den eigenen Gefühlen unmittelbar selbst wie ein Gewissen ohne wirkliche Gewisssheit verhält und hierbei eine Macht repräsentiert, die weder weltlich, noch persönlich erkennbar ist, durch ihre Gewöhnung keinen Gedanken mehr nötig hat und als verloren gegangenes Gedächtnis sowohl ihre Selbstkontrollle wie auch ihre Pflichtschuldigkeit aus dem zwischenmenschlichen Verhältnis dererzieherischen Beziehung in sich selbst als Gewohnheit von eigener Sinnhaftigkeit bewahrt und bewährt. Ihr Lebensraum und die darin bestimmte Dichte der zwischenmenschlichen Beziehungen haben den sinnlichen Gehalt ihrer Gefühle nun also selbst zur Gewohnheit gemacht und von daher ihre Empfindungen so bestimmt, wie sie sich darin fühlen müssen, um überhaupt noch gefunden zu werden. Aus ihrem Selbstgefühl ist eine schlichte Gewohnheit geworden, die den Lebensraum und die Beziehungen darin im Grunde verneint, während sie sich ihm zugleich entäußern, sich über ihn durch das errichten, wohin sie in diesen Verhältnissen gezogen wurden, sich diese durch Einverleibung selbst anerzogen haben. Ihre Subjektivität ist hierdurch nun selbst objektiv bestimmt und fühlt sich darin sowohl fremd wie auch durch eigne Eigenschaften erfüllt, die ihr Innenleben nicht mehr als das äußern können, wodurch es entstanden war, weil es durch ihre eigene Gegenwärtigkeit schon verneint ist - schließlich untersscheidet sie sich nicht wirklich mehr von den Beziehungen in diesem Raum.

Ihre Subjektivität fungiert jetzt als ein Selbstgefühl, das aus den hierauf gegründenten zwischenmenschlichen Beziehungen zu einem objektives Selbstgefühl im wahrnehmenden Subjekt geworden ist und selbst dessen Empfindungen in dieser Lebenswelt bestimmt weiß. So hat dieser Lebensraum vermittelst der darin ausschließlich ins Verhältnis gesetzten Persönlichkeiten ein Objekt geschaffen, das sich selbstausschließlich subjektiv verhält, um objektiv anerkannt zu sein. Diese subjektive Objektivität verselbständigt sich in einem Menschen im Maß seiner Distanz zu anderen Lebensräumen, also mit dem Grad seiner Isolationn und der darin bestimmten persönlichen Dichte seiner Lebenswelt.

Die Gebotenheiten eines isolierten Lebens, die in der erzieherischen Beziehung als Notwendigkeiten des Lebens überhaupt vermittelt wurden, bestimmen sich daher jetzt im Objekt dieser Beziehung fort als subjektive Notwendigkeit, als eine nun subjektiv wirksame Lebenspflicht, ein Sein-Sollen von privater Identität, wie sie sich nur persönlich vermitteln kann. Eine Persönlichkeit erscheint von daher nun als Integrität dieser Pflichterfüllung. So wurden diese Gebotenheiten in der Form einer abstrakten Integrierung, der Integration einer Entfremdung, zu einer Bedingung des Selbstgefühls, das den Lebensraum dieser nun notwendig scheinenden Beziehung, die sich als körperliche und geistige Identität fortträgt - nicht einfach als vermittelter Inhalt, sondern als ein durch diesen Raum und seine Lebenssubstanzen zu eigen gewordenes Gefühl. An diesem machen sich die Identitfikationen der Wahrnehmung fest, indem ein derartiges Selbstgefühl zu einem Objekt aller Selbstgefühle verdichtet wird, welches mit der Dichte dieses Raums schließlich die Identät der Wahrnehmung bestimmt und von daher zu einem Subjekt der Wahrnehmung geworden ist. Es handelt sich hierbei nicht um ein wirkliches Selbstgefühl, wie es in der Selbstwahrnehmung ensteht, sondern um ein Gefühl, an welchem sich die Selbstgefühle so objektivieren, wie sie in diesem Raum Halt suchen und finden, solange es darin also körperliche oder auch gegenständliche Wahrnehmungsformen hierfür gibt, die ihre Aufmerksamkeit in dem Maß begründen, wie sie das Gedächtnis ihrer Gefühle, die Psyche, scheinbar überflüssig machen. Erst hierin, wo das Selbstgefühl sich durch seinen Lebensraum auch wirklich behaupten kann, wird die symbiotische Selbstbehauptung vollständig und in sich geschlossen.

Aus der äußerlichen Identität, welche in der Lebensbergung überhaupt möglich ist, ist somit eine Heimat der Gefühle entstanden, in der sie durch die Umstände ihrer Gewohnheit zu sich kommen - nicht als Gefühl, sondern als Geborgenheit der Gefühle, was immer auch ihr Inhat sein mag. Das Wiedererkennen einer Kenntnis ersetzt die Notwendigkeit der Erkenntnis in solchen Welten; die Geborgenheit des Gemeinsinns wird zum Maßstab der Verhältnisse darin - auch wenn sie ihre Unsicherheit entbergen und über nichts anders streiten, als über das, was ihnen fehlt: Selbstgewissheit. Und deren Mangel ist nun systematisch geworden, weil ihr das Wissen über sich abgegangen ist.

Die Hörigkeit, welche in der Erziehung noch maßgebliche Sucht nach Identität war, hebt sich daher nun auf in einer Wahrnehmungsgewissheit, die an ihren Lebesraum gebunden, hiervon vollständig abhängig ist. Allerdings wird sie von daher nun in umgekehrter Weise wirklich gegenständlich, Gefühl von wirklich wahrnehmbarer Gewohnheit, Gefühlsgewohnheit der Selbstwahrnehmung unter denLebensbedingungen eines anerzogenen Lebensraums. Solange sie auf diese Weise gegenständlich sein kann, solange also der entsprechende Lebensraum existiert oder entsprechende Gegenstände, werden diese zum äußeren Subjekt der Wahrnehmung, die sich nur noch hierüber ihrer selbst gewiss wird, ihr Gedächtnis also in dieser Gestalt objektiv hat. Damit allerdings heben sie ihr eigenes Gedächtnis nun vollständig auf. Was sie durch sich selbst wissen könnten, wird beherrscht von der Notwendigkeit, sich durch das gewohnte Selbstgefühl seiner selbst zu vergewissern.

Die Gebote und Notwendigkeiten der erzieherischen Verhältnisse heben sich somit zu einer äußerlichen Gewissheit auf, an der sich die damit erzeugte Ungewissheit fixiert. Die Beziehungen zu Menschen sind von daher nicht mehr nötig, um Identität zu haben; im Gegenteil: Sie werden dieser objektiven Identität des Selbstgefühls unterworfen, um Gewissheit zu verschaffen. Es ist eine erzwungene Selbstgewissheit, welche als eine unendlich gewordene Identitäsangst die Auseinandersetzungen der Menschen bestimmt. Sie werden füreinander zum Beispiel ihrer Not und verlangen von einander, dieser zu gehorchen, sie als ihre seelische Moral anzuerkennen und als Gewissen für sich zu haben.

Das Resultat höriger Sinne war somit die Erzeugung einer Gewissheit aus einem Gewissen, welches sich der Selbstkontrolle entwöhnt, also sich in der Bindung an diese objektive Gewissheit quasi von seiner Erziehung befreit. Die Gewohnheit der Selbstwahrnehmung in einem erzieherisch bestimmten Lebensraum, welche das Zugehörige gegen das Hörige errichtet hat, wird auf seine Weise subkjektiv, wenngleich dies nur objektiv möglich ist. Man kann daher auch sagen: Die Hörigkeit der Selbstwahrnehmung emanzipiert sich gegen die erzieherische Beziehung und entzieht damit objektiv ihre Selbstverlorenheit, welche ihre Selbstaufhebung mit sich gebracht hatte. Indem sie auf ihr Gewissen hört, das ihr eine höhere Identität verschafft, wendet sie sich gegen ihre Herkunft und wird durch das objektive Selbstgefühl zu einer objektiven Gegenmaccht. In diesem ist schließlich alles bewahrt, was aus der Geschichte der Menschen unter gegebenen Bedingungen, also den Bedingungen der Lebensburg, als eigene Wahrheit bewahrt ist.

Das Gewissen ist keine Instanz, welche den Menschen quasi kulturfähig hält, wie es etwa Sigmund Freud annahm, der es als Resultat eines inzestuösen Triebkonflikts wissen wollte. Es ist das Mittel einer Identitätsbildung und Sicherung, die sich aus der Hörigkeit in erzieherischen Verhältnissen heraussetzt. Es ist eine Form entäußerter Selbstgewissheit, in der sich ein Individuum aus der gesellschaftlichen Macht der Lebenspflicht, wie sie in der Lebensbergung besteht, entzieht. Es wird der Träger eigener Geborgenheit inmitten einer Welt, worin die Selbstaufhebung gefordert ist.

Es ist daher auch mitnichten kollektiv und auch nicht metaphysische Allgemeinheit im Individuum, archetypisch, wie es etwa von C.G.Jung dargestellt wurde. Es rekrutiert sich auch nicht aus sittlichen oder allgemein kulturellen Erfahrungen oder moralischen Werten; es wäre lediglich moralisches Bewusstsein. Es mag vielerlei Allgemeinheiten enthalten, aber eben nur in der Form, wie sich Erfahrungen als Gewohnheiten in jedem einzelnen Menschen unter den Bedingungen erzieherischer Verhältnisse verallgemeinert haben.

Unter den Bedingungen der Lebensbergung waren Gewissheiten entstanden, die sich aus unterworfenen Beziehungen ergeben hatten. Gewiss war vor allem, dass Selbstbeziehung nicht ohne Selbstkontrolle, nicht ohne Erziehung möglich ist, dass in solchen Verhältnissen Selbstwert nur entsteht und bewahrt bleibt, wenn die Beziehung auf andere sich durch diesen Lebensraum auch bestimmt und Selbstwert durch ihn bestimmt ist. Und dies geht nun in die Gefühle über, die hier Gewissheit erlangen, soweit sie dem Gewissen dieser Verhältnisse auch entsprechen und von daher selbst wie objektive Tatsachen fungieren.

Objektive Gefühle wären eigentlich alle Gefühle, die gegenständlichen Ausdruck haben (z.B. in Grafik, Kunst, Architektur usw.), wenn sie ihre subjektive Herkunft verloren, ihre Welt verlassen hätten. Das reicht aber nicht zur Erklärung, warum sie eigene Wirkung haben. Objektiv können Gefühle nicht durch bestimmte Wahrnehmung von bestimmten Lebensäußerungen werden, sondern durch unbestimmte: Durch eine Gewohnheit, in welcher das Subjekt der Beziehung gegenständlich aufgehoben ist, also durch den Ersatz eines Subjekts durch die Gewohnheit eines erzieherischen Verhältnisses. Objektive Gefühle selbst haben keinen anderen Sinn als den, den sie ersetzen, an dessen Stelle sich ihre Gewohnheiten setzen. Eigentlich sind sie also die Negation einer ganz bestimmten Gefühlswelt, welche durch diese Gewohnheiten ausgeschlossen ist. Aber als solche können sie nicht wirklich sein.

Objektiv sind solche Gefühle dadurch, dass sie von einem subjektiven Objekt bestimmt sind, das objektiv notwendig ist, um subjektiv zu sein. Und sie treten auf, wenn nur zu fühlen ist, was objektiv gegeben ist, was menschliche Notwendigkeit dadurch hat, dass es unwahrnehmbar ist. Solche Gefühle setzen also voraus, dass durch deren verinnerte Objektivität eine subjektive Not aufgehoben ist, dass also eine objektive Notwendung zugleich die Aufhebung einer subjektiven Not betreibt und darin Subjekt und Objekt wirklich ununterschieden und also ohne Bewusstsein auch ununterscheidbar sind. Objektiv sind Gefühle dann total, wenn menschliche Wirklichkeit nichts anderes zulässt, als eine Beziehung von Subjekten durch Gefühle, welche nur außer ihnen objekte Gestalt haben oder bekommen können.

Es gibt für solche Objektivität nicht unbedingt einen Schuldigen. Oft können die Menschen gar nichts dafür, dass sie unter bestimmten Umständen ihrer Sinnbildung so aneinander geraten waren, dass ihre Beziehung objektiv zu einer Erziehung wurde. Es ist meist auch der Mangel der wirklichen Umstände selbst, der dazu führt, dass die Menschen durcheinander zu Sinnbildungen kommen, die jenseits von ihnen ausgeschlossen und daher ausschließlich sind. Besonders deutlich wird dies an den Beziehungen, welche in der Erziehung von Kindern auftreten: Je weniger eigene Welt Kindern wie Eltern bleibt, desto objektiver und zugleich inniger wird ihre Beziehung bestimmt sein. Solche innige Objektivität vereinigt alle subjektiven und Objektiven Inhalte der Gefühle.

Die Entwicklung eines einzelnen Menschen macht immer einen Werdegang von objektiven zu subjektiven Gefühlen aus. Eltern sind der Form nach zu allererst Subjekte, welche ein Kind hervorbringen, das objektiv von ihnen abhängig ist. Von daher erfährt es sie auch als objektives Subjekt seiner Beziehung auf die Welt überhaupt. In dieser Beziehungen erscheint objektives Fühlen noch naturnotwendig, wiewohl hierbei zweifellos ein Mensch fühlt, weil er schon vor seiner Geburt Sinn hat für das, was seine Eltern ihm zu vermitteln haben, und sei es auch nur ein Sinn für die Brust der Mutter oder ähnlich anderes. Aber sosehr dies auch als Naturempfindung erscheint, so schnell wird darin auch eine menschliche Beziehung wach. Schon im Mutterleib bezieht sich das Kind auf Menschen, auf seine Muttter und alles, was es vom menschliche Leben sonst auch mitbekommt (Geräusche, Licht, Berührungen, Musik, Sprache usw.). Es hat Eindrücke, die ohne andere Menschen nicht vorhanden wären. In einem künstlichen Uterus würde es schon vor seiner Geburt verkümmern.

Soweit Menschen in ihrer Entwicklung frei von subjektiven Mächten sind, entwickeln sich ihre Gefühle sowohl objektiv wie auch subjektiv, ermöglichen ihnen also die Bildung einer Identität als Subjekt, soweit wie dieses gesellschaftlich schon möglich ist, wie es also die Sinnbildung der bisherigen menschlichen Geschichte schon erreicht hat. In dem Maße, wie objektiv begründete Gefühle einer solchen Macht aber unterworfen werden, verselbständigen sich Gefühle, sondern sich ab und wirken unmittelbar objektiv als wirklich objektive Gefühle, als Gefühlsmacht. Dies, aber nur dies, macht die Wahrheit des psychoanalytischen Verdrängungsbegriffs aus

Allgemein ist dies nur möglich, wo Lebensräume selbst zum objektiven Träger der Selbstgefühle geworden sind, worin also menschliche Subjektivität nicht möglich ist, noch nicht geworden ist oder sich verliert, weil eine solche Lebensburg sich gegen das Selbsterleben errichtet hat. Indem Menschen sich in der Selbstenfremdung geborgen fühlen, Haben sie keine lebendige Identität für sich. Sie erleben die Gefühle selbst ausschließlich objektiv und als Macht, welche gegen ihre Selbstwahrnehmung gerichtet ist. Die Wirklichkeit ihrer Selbstgefühle haben sie noch nicht oder nur durch fremde Kräfte, durch Kräfte der Entfremdung, in denen sie selbst auch wirklich aufgehoben werd, um irgendeine Gefühle ihrer Gefühle zu erlangen.

Wo einem Menschen diese Gewissheit unmöglich, zerfallen oder zerflossen ist, wird ihm die Objektivität solcher Gefühle unmittelbar notwendig, wird ihm die objektive Vermittlung zu einer Selbstbestimmung, zur Bestimmung seiner als seine Notwendigkeit. Die subjektive Not kann aber nicht objektiv aufgehoben werden, da sie ihren Schmerz nur durch sich hat. Es kann sich nur das objektiv Notwendige als subjektive Notwendigkeit andienen, kann sich in dieser Bestimmung ihm angleichen, indem es zu seiner Gewohnheit wird. Wo Erkenntnis nicht mehr nottut, wird Leidenschaft zur Zierde, wo die Liebe keinen Sinn mehr hat, kann sie als angenehmer Umstand fortbestehen - bis er zur Hölle wird. In objektiven Gefühlen zirkuliert die bürgerliche Kultur. Aber die Erkenntnis duldet keine Umstände.

Für sich existieren solche Gefühle erst, wenn sie eigene Wirkung und damit Wirklichkeit bekommen: In den Lebensräumen, die sich darauf gründen (siehe Lebensburg). Dort werden sie zu Gefühlen, welche eine objektive Notwendigkeit subjektiv wahrmachen, also fremden Sinn als einen Übersinn wie eine eigene Wahrheit dadurch wahrmachen, dass sie die Wahrnehmung des Einzelnen für sich aufheben (s.a. Gemeinsinn, Familiensinn). Die Macht dieses Sinns setzt eine Beziehung in einem notwendigen Lebensraum voraus und setzt sich gewöhnlich durch ein Schuldgefühl um, in welchem die Unterworfenheit eigener Wahrheit anerkannt ist. Es ist die Grundlage für seelische Bedrängung (siehe Verrücktheit).

Gefühle mögen scheinbar oder vorgetäuscht sein. Es gibt dennoch keine richtigen oder falschen Gefühle, auch nicht in der Täuschung, ist darin doch gerade nur das vertauscht, was man fühlt und eben nur dadurch zur Täuschung fähig. Eine Täuschung hat ihren Grund letztlich im Subjekt. Gefühle mögen zwar zwiespältig sein und die Frage aufwerfen, was nun in der Beziehung zu den Empfindungen wahr und was Täuschung sei, aber sie können nicht selbst unwahr sein.

Und darum ist schwer einzusehen, warum Gefühle objektiv sein sollen. Vorgetäuschte Gefühle sind mit Empfindungen vertauscht und als solche durch ihre Vermittlung selbst erzeugte Gefühle. Sie sind ebenso wie alle anderen Gefühle - auch wie enttäuschte Gefühle - substanzielle Grundlage der Erkenntnis, auch wenn ihre Vermittlung erst noch begriffen werden muss.

Auch in der bloßen Objektform, wie sie z.B. in der Architektur oder Kunst vergegenständlicht sind, können Gefühle nicht von den Menschen unabhängig sein. Sie können zwar mächtig Eindruck machen, nicht aber den Menschen objektiv bestimmt gegenübertreten, wirklich objektiv für sich und also mächtig sein.

In ihrem Sinn können Gefühle eigentlich nicht objektiv sein und es schiene widersinnig, von objektiven Gefühlen zu reden, wäre dieser Schein nicht Wirklichkeit. Gefühle werden objektiv, wenn sie als eigenständige Notwendigkeit erscheinen, von einem Objekt bestimmt sind, das eine Lebensnotwendigkeit darstellt und zugleich ausschließlicher Gegenstand der Wahrnehmung ist. Objektiv werden Gefühle also erst dann, wenn über ihren Gegenstand nur zu fühlen ist, was objektive Notwendigkeit hat.

Das setzt voraus, dass objektive Notwendigkeit eine subjektive Not aufhebt, also eine objektive Notwendung zugleich die Aufhebung einer subjektiven Not betreibt und darin Subjekt und Objekt wirklich ununterschieden und also ohne Bewusstsein auch ununterscheidbar sind. Objektiv sind Gefühle dann total, wenn menschliche Wirklichkeit ausschließlich nur zu fühlen ist, sie in einem Lebensraum eingeschlossen ist, der nichts anderes zulässt, als eine Beziehung von Subjekten als Objekte ihrer Gefühle.

Die Entwicklung eines einzelnen Menschen macht in der bürgerlichen Gesellschaft immer schon einen Werdegang von objektiven zu subjektiven Gefühlen aus. Eltern sind der Form nach zu allererst Subjekte, welche ein Kind hervorbringen, das objektiv von ihnen abhängig ist, weil und solange es keine andere Gesellschaft als die der Kleinfamilie hat. Von daher erfährt es sie auch als objektives Subjekt seiner Beziehung auf die Welt überhaupt. In dieser Beziehung erscheint objektives Fühlen noch naturnotwendig, wiewohl hierbei zweifellos ein Mensch fühlt, weil er schon vor seiner Geburt Sinn hat für das, was seine Eltern ihm zu vermitteln haben, und sei es auch nur ein Sinn für die Brust der Mutter oder ähnlich anderes. Aber sosehr dies auch als Naturempfindung erscheint, so schnell wird darin auch eine menschliche Beziehung wach, in welcher der Mensch Gegenstand für den Menschen ist. Schon im Mutterleib bezieht sich das Kind auf Menschen, auf seine Muttter und alles, was es vom menschliche Leben sonst auch mitbekommt (Geräusche, Licht, Berührungen, Musik, Sprache usw.). Es hat Eindrücke, die ohne andere Menschen nicht vorhanden wären. Aber in dieser natürlichen Unterschiedslosgkeit des leiblichen Gefühls bestehen doch alle Gefühle zugleich subjektiv, keimt darin eine werdende Subjektivität aus der Symbiose der Naturbeziehung zu einem eigenständig werdenen Menschen.

Durch die subjektive Wendung objektiver Lebensbedingungen gibt es in der Wahrnehmung Gefühle, die wie ein fremdes Subjekt die Wahrnehmung bestimmen, die eine Macht in sich haben, die objektiv wirksam ist. Sie werden es dadurch, dass sie in Beziehungen nötig sind, die erzieherisch bestimmt sind und die durch diese erzieherischen Beziehungen ein eigenes Sein geschaffen haben, welche diese Beziehung ausgestaltet hat. Es geht hierbei nicht nur um Beziehungen zwischen Generationen, also meist Eltern und Kinder, sondern um Liebesbeziehungen überhaupt, in denen auf eine Objektivität hingezogen und also auch einseitig oder beidseitig erzogen wird, die nicht unbedingt so sachlich ist, wie sie vorgestellt wird. So müssen z.B. Kinder ihren Eltern glauben, was sie vermitteln, gleich wie das Vermittelte in Wirklichkeit ist. Die Vermittlung der Objelktivität geschieht innerhalb der erzieherschen Verhältnisse nun mal vor allem subjektiv. Und so wandert oft genug auch eine subjektive Absicht in diese Beziehung ein, die objektiv vorgestellt wird, um das erzieherischen Verhältnis zu bestimmen oder zu verewigen.

Und innerhalb der persönlichen Beziehungen ist zwangsläufig jede solche Erziehung die Vermittlung einer Selbstermächtigung, einer subjektiven Objektivität, die einen Menschen, der da nichts entgegenstellen kann, verrückt macht. Der durch sie erwirkte Einfluss auf die erzieherische Beziehungen erzeugt für diese eine Objektivierung ihrer Gefühle, objektive Selbstgefühle, welche ihren Sinn bestimmt und die substanziellen Gefühle darin verrückt und entrückt. Die Wahrnehmung wird hierdurch entgegenwärtigt und durch eine fremde Selbstwahrnehmung auch ohne Anwesenheit ihrer Beziehung bestimmt. In den Verrücktheiten erweisen sich diese als eigenständige Wahrnehmungskreisläufe, als zirkuläre Selbstwahrnehmungen, als Wahrnehmungszustände, die wie aus sich selbst heraus begründet erscheinen.

Der Rückstand der erzieherischen Selbstermächtigung ist eben nur das Gefühl, welches diese Beziehung verobjektiviert und wie eine Objektivität dieser Beziehung diese beherrscht. Es erscheint - wiewohl nur objektiv notwendiges Gefühl - subjektiv, und erfordert von daher, das zu sein und zu glauben, was in dieser Beziehung gefühlsnotwendig ist, was also die Beziehung dadurch zusammenhält, dass die Menschen sich in ihren Selbstgefühlen überhaupt nur objektiv wahrhaben, aneinander ein objektives Selbstgefühl gewinnen und dieses hegen und pfegen, also füreinander kulturvieren. Jeder Mensch in diesem Verhältnis objektiviert den anderen zu seiner Persönlichkeit, dass dieser so werden muss, wie es jenem nötig ist - vice versa. Die bornierte bürgerliche Persönlichkeit entfalten nun selbst einen Lebensraum ihrer selbst, in welchem ihre Egozentrik auch wirklich aufgehoben ist, wenn auch unter dem Schmerz einer Notwendigkeit, die nicht ganz geheuer, fast unheimlich ist. Es ist ein Grundgefühl einer selbstbezogenen Verbundenheit, die für jeden die Pflicht darstellt, zu fühlen wie der andere, zu sein, wie der andere und zu lieben, wie der andere, die Liebe selbst wird zu einem Subjekt aller Zugehörigkeiten, das aber nurmehr als Gewohnheit wirkt und ein unheimliches Schuldgefühl hervorruft. Es verlangt nun objektiv, dass jede Persönlichkeit in diesem Verhältnis Lebensstoff für jeden anderen ist. Seine Einverleibung ist hier nicht nur selbstverständlich, sondern notwendig.

Als Kind kann solches Verhältnis noch als Glück erfahren werden, muss es doch nur erkennen, was es lieb sein lässt, was also hier anerkannt und Lebensstoff ist. Es nimmt sehr wohl wahr, welche Bestimmung es in solchem Lebensraum hat. Es eignet sich auch selbst die eigene Wahrnehmung aus Selbstwahrnehmungen an, die es darin wahrhat. Erst wenn es sich auch die Welt jenseits solcher Verbundenheit verhält, kann es einen Konflikt mit sich selbst bekommen, den es nicht erkennen kann, weil es ja lediglich eine Objektivität seiner Gefühle verloren hat, die ihm notwendig war, um seine Welt ungebrochen erleben zu können.

Ein objektives Gefühl ist von daher ein Gefühl, welches zwar die Einheit einer erzieherischen Beziehung darstellt, dieses aber als Grundgefühl einer Selbstbeziehung nun auch nötig hat. Und das ist ein Gefühl, das niemand für sich hat und das auch nicht wirklich auf einen anderen Menschen bezogen ist, sondern das nur unter den objektiven Bedingungen der Umstände und Lebensräume solcher Beziehungen überhaupt auftreten kann. Allerdings bestehen die Umstände hier nicht aus reinen Sachen, sondern aus Menschen, die dennoch als Lebensbedingung sachlich bestimmt wurden. Objektive Gefühle sind also das Resultat einer erzieherischen Beziehung, in welcher Hörigkeit entstanden war, so dass sich die Menschen, welche sich körperlich und augenscheinlich freilich als Menschen wahrgehabt haben, sich als Menschen nur sachlich vergegenwärtigen können. Das spaltet ihr Menschsein selbst und damit die Wahrheit ihres Lebens in ihren Gefühlen. Sie ist doppelt: Einmal die Wahrnehmung objektiver Bestimmtheit, also eines objektiven Sollens, das Grundlage ihrer Selbstgefühle ist, und zugleich notwendige Bezogenheit einer sich selbst fremd gewordenen Liebesbeziehung, negierte Liebe, die zugleich Bedingung der Verbundenheit selbst ist. Die Menschen erleben sich selbst nur in dieser doppelten Ausschließlichkeit, durch welche ihre Erkenntnis selbst gegen sie bestimmt wird, ihre Selbsterkenntnis praktisch ausgeschlossen ist. Ihr Fühlen selbst wird objektiv, wiewohl dessen Grund außer ihnen nur unheimlich heimlich wahr sein kann. Die Basis ihrer Beziehung ist notwendig unbewusst. Als objektives Fühlen veräußert sich die Wahrnehmung zu dem, was sie in sochem Lebenraum sein muss.

Objektive Gefühle erweisen sich schließlich als Gefühle, deren subjektive Herkunft verschwunden ist, die also selbständig und völlig unabhängig zu bestehen scheinen und doch ebenso vollständige Wirkung auf die Menschen haben, weil sie als Macht einer Naturempfindung wirken - so, als wären sie eine Klimaanlage des Gefühls. Ausgerechnet die Parapsychologen haben den ersten empirischen Nachweis gebracht, dass es Gefühle gibt, die sich jenseits aller wirklichen Beziehungen und Verhältnisse zu begründen scheinen. Zur Untersuchung von Geisterwahrnehmungen, die systematisch bei den Besuchern im Tower von Edinburg auftraten, wenn sie alleine in dessen gespenstischen Kellerräumen waren, rekonstruierten sie diese Räume virtuell als Computersimulation, die, wenn sie mit einer 3D-Brille und Kopfhörer in Abhängigkeit von eigener Bewegung wahrgenommen wurden, diesselben Geisterwahrnehmungen hervorriefen: Das Gefühl, dass da jemand um den Besucher schleicht, ein seltsamer Windhauch umgeht, die Haut an den Armen zu brennen beginnt und ein sich bis zu einer raunenden Sprache steigernden Stimme aus entfernten Fluren hallt (Richard Wiseman, 2001). Es scheint visuelle Formen und Strukturen zu geben (hier sind es weit verwinkelte leere Kellerfluren mit fremden Raumklang und Nachhall), die das Selbsterleben in ganz bestimmte Wahrnehmungen zwingt. Einzig, was sie unter der Bedinguing absoluter Isolation in Gang setzen, unheimliche Gefühle von Gespenstern oder ähnlichem, ist als eine besondere Art von Lebensangst nachvollziehbar. Propagandisten, Psychologen und andere Gurus kennen dieses Phänomen zur Genüge und setzen es für ihre Zwecke nach Belieben ein (vergleiche z.B. die Isolation bei der sogenannten Urschrei-Therapie nach Janov, die Hyperventilationsübungen vor Transzendezerfahrungen asiatisch ausgerichteter Selbsterfahrungsgruppen, spezifisch instrumentalisierte sexuelle Stimulationen als Mittel esoterischer Bewusstseinserweiterung, oder auch die Empfindungen in Menschenmassen, die gesetzmäßige objektive Abläufe haben (s.a. Populismus), - und nicht zuletzt der gesamte Drogenkonsum, der den Körper objektiv so stimuliert, dass er für bestimmte Wahrnehmungen oder einfach auch nur Enthemmungen der Seele bereit ist (s.a. Sucht).

Aber völlig grundlos können auch solche Gefühle nicht existieren. Auch wenn sie unmittelbar jede Empathie aufheben, so haben sie dennoch einen tiefen Grund. Doch ihr Tiefsinn erscheint nurmehr in ihrem Anlass und ihrer Absicht. Was aus gänzlich anderen Anlässen auch wohlbegründet sein mag und - wenn auch vielleicht weiter vermittelt - voller Sinn, erscheint nun subjektiv fremd und zufällig, außer Reichweite jedweder Geschichte. Wo wir z.B. Unheimliches noch einfach wahrgenommen hatten, ließ sich durchaus erschließen, welche Heimlichkeiten wir dabei wahrhatten, z.B. die eng begrenzten Grenzenlosigkeiten unserer Liebe und Kultur, den Konsum von Nutzen, dessen gegenständlicher Zusammenhang (s.a. Ware) uns vielleicht auch gänzlich fremd ist (s.a. Warenfetischismus). Jetzt scheint Gegenwart und Wahrheit vollständig getrennt. Zwar gibt auch jedes objektive Gefühl, selbst als psychisches Symptom (z.B. Depression, Platzangst, Panikattacken, Wahnsinn) nach hinreichend gründlichem empathischen Verstehen Auskunft über die Grundbefindlichkeiten eines Lebens, wie wir es - für die unmittelbare Wahrnehmung manchmal unerkennbar - wahrhaben. Aber in Wahrheit ist es nicht dieses, welches objektiv wirksam geworden ist, sondern das Gegenteil: Eine Lebensbestimmung, die gegen den lebenden Menschen selbst sich verhält.

31

223.1 Die entäußerte Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit ist die Gegenwärtigkeit des Gedächtnisses für die Wahrnehmung, also das, was sie aufmerken lässt. Sie wird beeindruckt durch die Gefühle, welche von dort in die Empfindungen eingehen. Von da her ist die Aufmerksamkeit abhängig von den Umständen und Inhalten der Wahrnehmung.

Sie kann aber auch durch Überreizung (siehe Reiz) mehr ocer weniger vollständig zu selbständigen Wahrnehmungszuständen aufgehoben werden, weil sie sich auf wesentliche Inhalte ebenso fokussieren und verselbständigen kann, wie auf die Ästhetik einer Begegebenheit (z.B. übermächtige Geruchsempfindlichkeit). Damit einher geht dann eine Abwehr gegen bestimmte Wahrnehmungsinhalte, ohne dass diese verdrängt würden und ohne dass darin bestimmte Ursachen wirksam wären, diese unbestimmbar aber als leere Erregung in einem Menschen fortwirken. Es sind dies dann Surrogate von Inhalten, die übermäßig bestimmt sind (siehe auch Formbestimmung) und von daher ihren Lebensraum überdehnen würden und sich in ihrer Wirkung komprimieren (siehe Dichte), von daher sich ganz unbestimmt gegen dessen bestimmte Inhalte in der Wahrnehmung und sich schließlich gegen deren Aufmerksamkeit selbst richten (siehe das sogenannte Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom).

In der Absehung von einem wirklichen Sinn entstehen Absichten, die keinen sinnlichen Gegenstand mehr haben. Nicht die persönliche Beziehung auf andere noch zu sich selbst wird hierbei sinnlich bejaht. Im Grunde besteht die Substanz der Selbstwahrnehmung in solchen erzieherischen Beziehungsverhältnissen aus der Verneinung der eigenen sinnlichen Erkenntnis. Wo dem keine andere Welt mehr zugeordnet ist, ist jedes Erkennen innerhalb dieser Verhältnisse ein Verkennen der eigenen Wahrnehmungsinhalte und also eine Aufhebung der Selbstgewissheit. Die herrschenden Gewohnheiten mögen zwar noch als Zankapfel dienen, als Träger objektivierter Auseiandersetzungen, aber aus ihnen ist kein wirklicher Sinn mehr erkennbar.

Diese Verhältnisse entleeren die Beziehung der Menschen in dem Maße, wie sie sich als gewöhnliches Leben etablieren. In Wahrheit erleben sich die Menschen darin ihrer Sinnlichkeit entrückt und täuschen sich hierüber vermittelst ihrer Gewohnheiten dadurch hinweg, dass sie sich verrückt zueinander verhalten. Der gewöhnliche Mensch, der das Leben nur noch als völlig veräußertes Erleben zu sich nimmt, erfährt sich selbst jetzt auch allgemein als Mensch voller Erlebnisse, die sich über die Gewohnheiten des Lebens erheben und ihn nun als Mensch schlechthin auszumachen scheinen. Wie ein Tourist die Kulturlandschaften der Einheimischen je nach Angebotslage und Preis deren ihm fremde Geschichte durchpflügt, so durchpflügt er die Seelenlandschaften der Menschen nach ihrem Erlebenswert. Er schafft sich so selbst die Grundlage seiner Beziehungen, die nötig machen, dass er seine Unheimlichkeiten abstreift und sich entheimlicht, sich veröffentlicht.

Doch diese Veröffentlichung ist nur die Eröffnung seiner Selbstentfremdung und verallgemeinert sich in einer Kumpanei objektiv gewordener Gefühlswelten, in denen zwischenmenschliche Beziehungen, wie sie als Erziehung noch bestimmt waren, hiervon emanzipiert erscheinen können. Jeder Mensch kann so zu einem objektiven Subjekt in seiner Selbstentfremdung werden und seine Persönlichkeit dahin kanalisieren, indem er seine Regungen beherrscht, sich selbst hiervon enteignet.

Indem aber ein Mensch in solcher Objektivität sich eigene Regungen wirklich austreibt, seine Gefühle selbst negieren muss, um frei zu sein für die Wahrnehmung der Selbstenfremdung als eigentümliche Erlebenswelt, treibt er auch seine eigene Erregung aus. Er vermittelt sich selbst in einer Welt, wo er seine Zwecke verwirklicht sieht, macht sein Leben zum Selbstzweck dieser Welt. Alle Formen seiner Persönlichkeit beugen sich dieser Vermittlung, die durch die Erziehung erzwungen wurde und jetzt schlichte Notwendigkeit für intakte Beziehung ist.

Und gerade diese kann nicht wahr sein, weil sie den Verhältnissen eines bestimmten Lebensraums entspricht, also objektiv bestimmt ist. Jede Beziehung, die etwas sein muss, was sie nicht sein kann, erzeugt eine Unruhe aus der nichtigen Bewegung, die sie in ihrem Verlauf betreibt. Wie durch einen Trieb zur Bewegung erscheint jede Gegenwärtigkeit bestimmt zu sein, wesenlos und unwirklich, weil die wesentliche Wirkung die Entfremdung von den eigenen Lebensbedürfnissen ist, die Bedrängung des Lebens, das sich selbst in die Flucht getrieben hat.

32

223.2 Die strukturelle Lebensangst (Institutionen der Angst)

Ein Leben, das für sich selbst flüchtig geworden ist, leidet daran, dass Leben sich nicht verflüchtigtigen kann. Es besteht darin, dass es sich selbst unentwegt bedrängt, wo es sich bewegt. Es kann auf vielfache Weise bedroht sein, aber durch sich selbst wird es zu einer inneren Lebensbedrohung, die keinen Bezug zu ihrer Welt mehr haben kann. Von Lebensangst spricht man, wenn es durch sich selbst beengt ist, wenn es durch seine Körperform, seinen Lebensraum sich selbst bedrängt, durch die anwesenden Körper seine Gegenwärtigeit verliert, abwesend wird, ohne dass erkannt werden kann, was durch diese bewirkt ist, was wirklich mit dem Leben geschieht, was überhaupt die Ursache der Angst sein könnte. Es ist die Unwirklichkeit der Köperformen selbst, die diese Angst ausmacht und erfüllt, die eigene Körperlichkeit, auf welche die Wahrnehmung zurückfällt, weil sie sich selbst bedrängt, weil sie voller Inhalte ist, die sich widersprechen und ihre Substanz aufzehren müssen, solange sie ohne Welt bleibt. Es ist die Angst der Weltenlosigkeit, der absolutenEgozentrik, die letztlich genau das nichtet, was sie nötig hat: Wirklichkeit, das Leben, wie es wirklich ist.

Lebensangst entsteht als Gefühl einer Bedrohung des eigenen Lebens durch eine Gefahr, die unkenntlich ist, einer Bodenlosigkeit, in der jeder Halt verloren geht, einer Ohnmacht der Wahrnehmung, die sich verloren fühlt, weil sie sich selbst fremdw geworden ist (siehe Selbstentfremdung). Sie ist das Gefühl eines Selbstverlustes gerade dort, wo das Selbstvertrauen zu Hause sein müsste, der Verfall der Wahrnehmungsidentität durch ganz gewöhnliche Wahrnehmungsinhalte. Sie ist die Selbstwahrnehmung einer Nichtung der Selbstachtung, die einem bestmmten Lebensraum entspringt, der die eigenen Kräfte beengt (Angst kommt von Angustia=Enge), der die Entwicklung eigener Selbstverwirklichung ins Leere geführt hat und darin - oft schlagartig - einen Lebensabriss, einen Abgrund, eine Auflösung der Gegenwärtigkeit der eigenen Sinnlichkeit, der Erinnerung, die Entgegenwärtigung von eigener Geschichtlichkeit verspürt, z.B. als Panikattacke oder als Depression.

Lebensangst ist eine Angst um das Leben im Leben selbst, lebendige Angst, nicht Angst vor dem Tod. Es ist die Angst um die Wahrnehmung, um eigene Wahrheit, um eigene Identität, die Erkennbarkeit von Widersinnigem, die Furcht davor, dass alles Leben mit einem Mal ein ungeheuerliches Nichts sein könnte, ein tiefes Loch, ein unendlicher Abgrund. Es ist die Form einer ausgeschlossenen, einer negierten Selbstwahrnehmung, die sich selbst bedrängt, weil sie außer sich nichts mehr finden, also auch nichts empfinden kann. Dies entspringt einer Selbstwahrnehmung, in der Leben im Grunde abwesend ist. Bei all den vielen Anwesenheiten lebendiger Menschen, Tiere usw., die wahrgenommen werden, wird darin nur eins verspürt, nur eins wahrgehabt: Nichts von alledem ist als Leben erkennbar. In einer erzieherischen Beziehung soll die Selbstwahrnehmung als Kontrolle über die Selbstwahrnehmung zur Gewohnheit werden, sich also gerade dann von sich ausschließen, wo sich ihre Wahrheit regt. Das macht Angst. Sie ist das fatale Resultat einer anerzogenen Selbstveredelung, die irgendwann erkennen muss, dass nichts von dem wirklich für sie da ist, was sie für sich an Beziehungsinhalten wahr gemacht hat.

223.2.1 Die ausgeschlossene Angst

Lebensangst ist eine Angst um die eigene Erkenntnistätigkeit. Es ist die innerste Angst der Selbstwahrnehmung, ohne Boden, grundlos, also ohne Erkenntnis zu sein, weil alles getragen ist von leerer Anwesenheit lebendiger Körper und Sinne, also von Körpern, die für alles nutzbar sind, aber außer dieser Nützlichkeit nichts verkörpern. Lebensangst ist die sinnliche Wahrnehmung der Sinne, die nur abstrakten Sinn wahr haben und darin immer dichter auf sich selbst verworfen werden. Lebensangst ist somit also nicht einfach die Beziehung eines Menschen auf sich, sondern auf das, was im Selbstbezug zugleich Beziehung auf andere ist, was andere durch ihre Selbstbezogenheit hierfür auch wirklich sind. Lebensangst ist also eine doppelte Negation: Die Negation seiner Selbstbezogenheit als negative Beziehung auf die Selbstbezogenheiten anderer, als Nichtung jeglicher Selbstgewissheit. Sie hebt sich auf in der Bejahung des Selbstbezugs als Bezug auf andere, als Wiedererkennen der eigenen Wahrnehmungsform in anderen, als Formbestimmung des Lebens. Diese Erkenntnis muss zur Basis der Selbsterkenntnis werden, um lben zu können. Sie ist die Rückkunft des Menschen auf sich als Lebewesen, was sowohl Grund wie auch Tätigkeit jeder Erkenntnis ist.

Lebensangst kann vielleicht als eine Angst vor dem Leben erscheinen, soweit sie sich in einer Depression verschlossen hat. Die Depression ist gelähmte Lebensangst, Leben ohne die Angst, die es enhält, unerkannte Lebensangst, von der Wahrnehmung ausgeschlossene Angst. Diese selbst ist zwar beengend, aber wahr in ihrem Widerspruch: Beengung weiß auch von Beengendem, und kennt das Weite. Und weil Lebensangst widersinnig ist, ist solche Angst doch äußerst lebendig, damit äußerste Lebensbejahung, wenn auch im Zweifel. Jedenfalls ist sie keine Angst um den Tod oder vor dem Tod, eher eine Angst, dass man dem Leben entschwindet, dass man darin abwesend wird. Dies ist höchst abstrakt und die Angst geht auch um diese Abstraktion, ist ein konkreter Widerstand hiergegen. Denn es ist tatsächlich absurd, dass lebende Menschen sich darum ängstigen, dass kein Leben mehr in ihnen sein könnte, dass ihnen die Beziehungen zum Leben, zu Menschen und Kultur entschwinden könnten. Aber in solcher Absurdität werden Abstraktionen erfahren, und es ist die höchste Abstraktion der bürgerlichen Kultur, dass darin Leben letztlich überhaupt nur durch die Anwesenheit von Menschen gegeben erscheint, Leben so etwas wie ein Anwesen ist.

223.2.2 Die eingeschlossene Angst

Angst ist im Grunde eine wirkliche Wahrnehmung, also auch eine Wahrnhemung von Wirklichkeit. Doch wo diese aus den Wirkungen einer erzieherischen Beziehung besteht, ist Angst nur durch diese wirklich wahr.

Lebensangst ist der lebende Widerspruch einer Angst, die nicht erkennbar ist, weil sie den Kern der Lebenswirklichkeit einer zwischenmenschlichen Kultur betrifft, worauf das Leben befestigt werden oder sein soll, zur Lebensburg gemacht wird, in welcher und durch diese Menschen an die Grenzen ihrer Befestigungen verwiesen werden - nicht in ihnen, sondern im Streit mit anderen um diese. Dieser Streit kann vernichtend sein, wenn die Angst darin ausgeschlossen wird. So widersinnig dies auch ist, sow erfährt die Angst darin den ausschließlichen Inhalt, dass es bei alle dem um das Leben selbst gehen muss. In der Lebensbergung wird an sich zwar Vernichtungsmacht aufgehoben und Lebensräume geschaffen, die ihre Grenzen nach Maßgabe des Geborgenen bestimmen und verteidigen (siehe hierzu Logik der Kultur Teil2). Aber als Raum erzieherischer Beziehungen kehrt sich dies gegen die Menschen, die darin zur Gewohnheit ihrer Selbstkontrolle gezogen werden.

In der Lebensangst äußert sich also auch begründete Angst, sich deshalb nicht verteidigen und daher nicht mehr ohne diesen Schutzraum leben zu können. Da Menschen nicht durch Grenzen leben, sondern bestenfalls mit ihnen, also begrenzt, ist ihre menschliche Identität dadurch auch bedroht. Was hinter den Grenzen lebt, bedroht, was vor ihnen lebt. Im Grunde ist Lebensangst eine Identitätsangst. Die Angst entspringt einem Lebensgrund, Lebensbedingungen, die sich gegeneinander bestimmen und in den Seelen der Menschen Lebensabsichten erzeugen, die nicht unbedingt selbst lebendig werden können, wenn sie nicht wahrmachen können, was ihre Absicht ist. Das macht ihre Seele bodenlos. Sie ist erfüllt mit Wahrnehmungen, mit Empfindungen und Gefühlen, die sie nicht in sich vereinen kann, wiewohl doch ihr Selbstgefühl nur hieraus sich bildet. In der Seele ist der Widerspruch der Wahrnehmungen aufgehoben und lebt in der Aufhebung fort, indem die wirklichen Wahrnehmungen von den seelischen getrennt werden.

223.2.3 Die ausschließliche Lebensangst

In der seelischen Entwicklung eines Menschen macht sich die Abtrennung seelischer Wahrnehmung von wirklicher darin geltend, dass er Wirklichkeit als Gegebenheit zur Kenntnis nimmt, an der er sich nur seelisch bilden kann. Er erscheint sich als Wunderwerk seiner Seele, die nicht wirklich leben muss, sondern in der Entwirklichung des Lebens ihre Kraft sammelt (Freud nannte dies die Libido und machte sie flugs zu einer ontologischen Kategorie). In der Äußerlichkeit von wirklicher Wahrnehmung ist die dem Leben äußerliche Bedingung nicht erkennbar und stellt sich daher gegen die Identitätsbestrebung der Erkenntnis. Es ist das Wahrhaben entäußerter Erkenntnis; Selbstentfremdung.

Die Lebensangst ist die Grundlage aller Verselbständigungen der Wahrnehmung zu Wahrnehmungszuständen, also Angstzustände, Zwangsverhalten, Depressionen und Sucht. Erst im Wahnsinn ist sie wirklich aufgehoben, indem dort die Wirklichkeit seelisch aufgehoben ist.

Als Bedingung kann Leben niemals sein, weil kein Ding lebt, auch wenn viele Dinge zum Leben gehören. Die Unterscheidung der Dingwelt vom eigenen Leben ist Grundlage jeglicher Erkenntnis und also notwendig, um die Lebensnöte zu erkennen. Werden Lebensbedingungen unmittelbar gelebt, so müssen sie unendlich viel Angst machen, weil sie zugleich den Tod bedeuten. Leben kann nur in der Gewissheit um seine Bedingungen frei sein, frei, dass es diese von seinem Tod unterscheiden kann. Wo tote Bedingungen herrschen (siehe tote Arbeit), ist die Erkenntnis dieser Herrschaft unmittelbare Lebenstätigkeit. Sie schließt ein, den Tod als dem Leben immanentes Moment anzuerkennen. Was sonst kann im Leben Angst machen, wenn es von seinem Tod weiß? Leben hat den Tod als sein verschwindendes Moment. Es kann hiervon nur gekränkt werden, wenn es sich als Überleben in Isolation vom Leben, als vom gesellschaftlichen Leben getrenntes Leben erkennen muss.

Lebensangst als Lebenszustand (siehe Angstzustand) rührt aus dem Sinn, den ein Leben unter der Bestimmung eines übersinnlichen Lebens erfährt, meist aus dem Familiensinn, der auf dem Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben gründet und Selbstunterwerfung verlangt (siehe Lebensangst).

In dieser Selbstunterwerfung wird jede Erkenntnis durch negierte Selbsterkenntnis bedrängt. Die Angst als Gefühl dieser Bedrängung wird hierdurch zu einer Selbstverständlichkeit der Wahrnehmung, welche entweder verrücktmacht (siehe auch Wahrnehmungszustand) oder durch kultivierte Ästhetik aufgehoben wird.

33

223.3 Der wirklich ausgeschlossene Sinn (Die Wirklichkeit des fremdbestimmten Sinns)

Was die Wahrnehmung identifizieren kann, was für sie wahr ist, das kann sich nur in den Ereignissen bewähren, in denen Gefühle ihre Empfindungen finden. Aber durch die erzieherischen Beziehungen entwickeln sich Gefühle nicht mehr aus ihren Empfindungen, sondern bestärken sich durch die Empfindungen, die sich darin erfühlen lassen. Was sinnlich für die Gefühle war, wird nun zu einem gefundenen Sinn, die die Ereignisse für den haben, der sie in diesen Beziehungen empfindet. Was die Ereignisse verbindet ist daher das, was sie sinnlich von sich ausschließen, was sie nicht wirklich für sich und durch sich finden können.

Das objektive Selbstgefühl, welches in ihrem zwischenmenschlichen Verhältnis grundlegend war, hat sich hierdurch selbst zu einer subjektiven Kraft einer gefühlten Entfremdung in den Menschen entwickelt, die ihre Selbstentfremdung betreibt, weil sie nur in dieser Fremde bei sich sein können. Sie müssen den Sinn von sich ausschließen, der alleine sie sinnlich sein ließe. So ist die Sinnsuche in ein unglückliches Verhältnis geraten, in die heimliche Identität einer unheimlichen Form: Die durch objektives Gefühl abgetrennten Sinne erscheinen in sich ebenso sinnlos geworden zu sein, wie der Sinn, in welchem sie sich befriedigen. Der Sinn hat sich selbst nurmehr in der Form wahr, also nur darin, dass sein Leiden durch Versinnlichung seiner Entfremdung wahrgemacht wird und die Wahrnehmung hiervon identitätsnotwendig ist, weil sie formelle Identität verschafft: Beruhigung.

Es ist diese Ausgeschlossenheit der Selbstwahrnehmung, welche die Perversionen angetrieben hatte, Selbstentfremdung als wirkliches Leiden erfahren zu müssen, um die Wahrnehmung mit sich zusammenzuführen, Selbstwahrnehmung durch erzwungene Fremdwahrnehmung zu ermöglichen. Darin brachte sich schon ein Sinn zur Wirkung, der in der Wahrnehmung selbst ausgeschlossen ist, der also nur unter der Veräußerung einer Selbstwahrnehmung wahrnehmbar wird. Jetzt ist dieser Sinn zu einem wirklich unheimlichen Sinn geworden, der sich gegen seine eigene Gegenwärtigkeit verhält, der Macht über die Wahrnehmung dadurch hat, dass er ihren Sinn so bestimmt, damit sie überhaupt wahr nehmen kann, damit sie überhaupt existieren kann. Dieser Sinn produziert nun Wahrnehmung für eine Wahrheit, die es in Wirklichkeit nur dadurch gibt, dass diese selbst zum Objekt dieses Sinnes wird. Das objektive Gefühl hat sich darin aufgehoben, dass der Mensch seine Wahrheit durch einen Sinn erfäkrt, der seine Wahrheit in der Wahrnehmung selbst produziert, also die zwischenmenschlichen Verhältnisse durch die Inhalte seiner Liebe bewirkt, die ihn in seiner Ausgeschlossenheit auch ausschließlich bestätigen und bestärken. Es ist eine Liebe, die gegen sich selbst gerichtet ist und in der Gegnerschaft zu sich Beziehung zu anderen Menschen sucht.

Dieser Sinn ist aber selbst auch von der sinnlichen Existenz eines Menschen bestimmt und ist in seiner Kraft auch hierin beschränkt, wirkt nicht unentwegt. Was ein Mensch sinnlich gegen sich hat, das tritt nur als Vorwegnahme auf, als eine Kraft, die diese Gegnerschaft in ihm selbst auflöst, die seine Selbstenfremdung versinnlicht und sich doch zugleich als Sinn erhält. Sie scheint daher auch oft nur in Intervallen zwischen Entfremdung und Versinnlichung zu existieren. Die Sinne, welche die Wahrnehmung ausmachen, sind in zwei gegensinnige Seinsweisen zerfallen. Wirkliche Sinnlichkeit ist durch sie selbst ausgeschlossen. Wirklichen Sinn kann es nur zwischen den Zuständen der Wahrnehmung geben, als völlig gegensinnige sinnliche Wirklichkeiten, die einen Sinn verwirklichen, der von der Selbstwahrnehmung nicht nur getrennt ist, sondern sie selbst als dieser abgetrennte und abstrakte Sinn bestimmt, für sich also sinnlos, wiewohl Subjekt aller sinnlichen Beziehungen ist.

Ein vom Menschen vollständig abgetrennter Sinn kann aber nicht wirklich sinnlos sein, eben weil er Sinn hat. Er treibt eigenartige Wirkungen hervorvor, welche die Wahrnehmung in ihrer Form bestimmen und welche der Form nach durchaus eine Absicht einlösen, die einen Frieden verschafft, der letztlich eine sinnliche Objektivität befriedigt, eine Art Heimat in einem an und für sich sinnlosen Lebensraum dadurch hat, dass er sich gegenständlich macht, sich in anderem formiert, sich durch Entgegenwärtigung dieses Anderen vergegenwärtigt. Wie eine seelische Absicht, die keinen Sinn mehr hat, wirkt in der Wahrnehmung selbst eine sinnliche Kraft, die sie in dieser eigenartigen Sinngebung zu solcher Indentitätsfindung antreibt.

Dies ist die Form, worin objektive Gefühle subjektiv ertragen werden. Was in den Perversionen sich noch in gespaltenen Wirklichkeiten - wenn auch nur der Form nach - gewinnen konnte, wird nun zu einem inneren Kampf, in welchem die Wahrnehmung ihre eigene Gegenwärtigkeit aufheben muss und in welchem sie als eine wirklich zwiespältige Wahrnehmung absolut wird. Was die Perversionen noch vergegenwärtigt hatten, wird nun unter der Bedingung, dass sich Menschen als Mittel ihrer verobjektivierten Sinne auch wirklich wahrhaben, zu einer zwiespätigen Gegenwart ihrer Wahrnehmung selbst.

Zwiespalt kann nicht gelebt werden. Er besteht als prozessierende Selbstzersetzung in einem unendlichen Gezeter um die Wirklichkeit eigener Gegenwärtigkeit, also um das Auf- und Untergehen von wirklicher Wahrnehmungsidentität. Dieser Kampf findet still statt und bewegt sich nicht mehr in der Wahrnehmungswelt selbst, sondern außerhalb von ihr als Verhältnis der Selbstvergegenwärtigung in der Wahrnehmung. Es ist im Grunde ein Kampf um die eigene Wahrheit, um eine Identität, die durch die beständige Entgegenwärtigung des Wahrnehmungsvermögens zugrunde geht und sich bis zu ihrer vollständigen Ungegenwärtigkeit in den Irrsinn treiben lässt.

Innerhalb des objektiven Selbstgefühls hat sich das Selbstgefühl praktisch von allen Seiten her aufgehoben und ist von daher auch wirklich unwirklich geworden. Die Perversionen waren nur die erste, noch verzweifelte Form, worin sich ausgeschlossene Sinne noch ganz einseitig geltend gemacht hatten. Der Verwirklichungsprozess der entfremdeten Selbstwahrnehmung hat insgesamt eine sinnliche Objektivität zum Resultat, in welcher das, was in den Verhältnissen geborgener Sinne eigentlich als reine Subjektivität erworben werden sollte, nun objektiv erscheinen kann: Die Unerreichbarkeit einer heilen und unberührbare Selbstwahrnehmung, einer unendlichen Selbstgefühligkeit, die alle Sinne antreibt und sie zugleich in ihrer Wahrnehmungsform entgegenwärtigt, also unheimliche Wirkung hat..

Das geborgende Leben erfordert einen hohen Tribut, welcher in der Selbstauflösung betrieben wird, wenn die Lebensburg nicht überwunden werden kann, also endlos bliebe als Innenleben eines durch seine Selbstwahrnehmung geborgenen Menschen. Er betreibt seine zwischenmenschliche Beziehung als ein Verhältnis gegen sich und doch in der Verwirklichung aparter Regungen, die als solche keinen Sinn zu haben scheinen, aber durch ihre Wirkung in der Lage sind, sich die Anwesenheit anderer Menschen für sich einzuverleiben. Es entstehen Bindungen, die an und für sich endlos sind, weil ihr Subjekt nicht wirklich existiert, die aber zugleich sich permanent selbst überwinden, weil die darin eben ihren ausgeschlossenen Sinn auch ausschließlich verwirklichen.

So ist aber auch die Überwindung der darin gezeugten objektiven Gefühlswelt äußerst komplex und also auch so kompliziert, wie sich die Verhältnisse darin objektiviert haben. Der unendliche Selbstverlust droht dem, der sich darin zu bewahren sucht und seine Wahrheit nurmehr als Verwahrung in diesem Lebensraum bestätigt haben kann, dass ihn dies zur Verzweiflung treibt. Der Selbstzweifel bestätigt die Zweifelhaftigkeit seiner Wahrnehmung, den Zwiespalt seines Lebens überhaupt Es handelt sich daher bei diesem Selbstverlust nicht um eine Verdrängung, um ein unglückliches Begehren, wie das von seiten der Psychoanalyse behauptet wird, sondern um einen Sinn, der nur Sinn hat, wenn er sich gegen die sinnliche Gewissheit seiner objektiven Verzweiflung durchsetzen kann.

Meist treten die wirklichen Probleme, also die Probleme, worin die Entgegenwärtigung der Wahrnehmung durch ausgeschlossen Sinnlichkeit wirklich wahr wird, die so genannten psychischen Symptome, in den Ablösungsphasen auf, welche gerade den Sinn besonders lebhaft machen, der von den eingeschlossenen Sinnen bis dahin bedrängt war. Die Wahrnehmung solcher Verhältnisse kann nicht einfach und selbsttätig wirklich subjektiv sein, gerade wo sie ihre Objektivierung als Lebensraum verlässt. Sie ist für sich selbst unmöglich geworden, weil der in diesen Verhältnissen ausgeschlossene Sinn zugleich für sich selbst ausschließlich sinnlich werden muss. Sie wird doppelsinnig und lässt hierdurch ihre Selbstentfremdung erst überhaupt wirklich werden. Die Entrückung der Menschen von sich selbst hat sie im Grunde verrückt gemacht. Doch es ist alleine die Verrücktheit ihrer Lebensräume, die Formationen ihrer Kultur, die sie in ihrer Verrücktheit auch leiden kann - eben so lange, bis ihre Verzweiflung durch zwischenmenschliche Verhältnisse überwunden wird, in welcher sich Selbsterkenntnis verwirklichen lässt.

Weiter mit Buch II: 223. Verrücktheiten, Wahnsinn und Irrsinn